Leopard
die Lunte anstecken. Von diesem Tag an war er Mikael Bellman überallhin gefolgt. Wenn dieser es zuließ. Mikael schaffte alles, womit Truls Probleme hatte, mit links. Schule, Sportunterricht und was man sagen musste, um nicht fertiggemacht zu werden. Mikael hatte Freundinnen, eine von ihnen war sogar ein Jahr älter, mit Titten, die Mikael nach Herzenslust begrapschen durfte. Nur in einer Sache war Truls besser als Mikael: im Prügeleinstecken. Mikael kniff grundsätzlich, wenn die größeren Jungs es nicht ertrugen, dass das Großmaul sie mal wieder dreckschleudertechnisch ausgetrickst hatte, und mit geballten Fäusten auf sie zukamen. In diesen Situationen hatte er immer Truls vorgeschoben. Weil Truls Prügel einstecken konnte. Das hatte er zu Hause mehr als genug trainiert. Sie konnten ihn schlagen, bis das Blut lief, aber er blieb stehen und lachte sein schnorchelndes Lachen, das die anderen noch mehr in Rage versetzte. Er konnte nichts dafür, er musste einfach lachen. Und er hoffte, dass Mikael ihm hinterher anerkennend auf die Schulter klopfte. Und manchmal, sonntags, konnte es passieren, dass Mikael ihn zu den legendären Rennen von Julie und Te-Ve mitnahm. Dann standen sie auf der Autobahnbrücke vorm Ryenkreuz, den Geruch von sonnenweichem Asphalt in der Nase und das Dröhnen der Kawa-1000-Motoren in den Ohren, und sahen zu, wie Julie und Te-Ve auf ihren Motorrädern über die sonntagsleere Autobahn unter der Brücke hindurch in Richtung Bryn rasten. Und wenn Mikael richtig gut drauf war und Truls' Mutter Nachtschicht im Aker-Krankenhaus hatte, kam es mitunter sogar vor, dass sie hinterher zusammen zu Mikael nach Hause gingen und bei Frau Bellman zu Abend aßen.
Einmal, als Mikael bei ihnen zu Hause geklingelt hatte, rief Truls' Vater, Jesus sei gekommen, um seinen Jünger abzuholen.
Gestritten hatten sie sich nie. Das heißt, Truls hatte nie Kontra gegeben, wenn Mikael seine schlechte Laune an ihm ausgelassen hatte. Nicht einmal auf dem Fest, als Mikael ihn Beavis nannte und alle lachten und Truls instinktiv wusste, dass dieser Name hängenbleiben würde. Nur ein einziges Mal hatte Truls zugeschlagen. Da hatte Mikael seinen Vater als einen der Saufbrüder aus der Kadokfabrik bezeichnet. Truls war auf gestanden und mit geballten Fäusten auf Mikael zugewalzt, der sich mit erhobenem Arm vor ihm geduckt und ihn lachend aufgefordert hatte, sich zu entspannen, es sei doch nur ein Spaß gewesen, Entschuldigung. Zu guter Letzt war es aber Truls, der sich kleinlaut bei Mikael entschuldigt hatte.
Eines Tages waren Mikael und Truls in eine der Tankstellen gegangen, in denen Julie und Te-Ve ihr Benzin klauten. Die beiden Motorradfreaks hatten ihre ganz eigene Technik: Sie füllten die Tanks ihrer Kawasakis an den Selbstbedienungssäulen, während ihre Bräute auf dem Sozius ihre Jeansjacken so um die Hüften knoteten, dass sie ganz zufällig die Nummernschilder verdeckten. Waren die Tanks voll, sprangen die Jungs auf ihre Maschinen und gaben Gas.
Mikael nannte dem Verkäufer Julies und Te-Ves vollen Namen und ihre Adresse, und sogar die von Te-Ves Freundin. Der Tankstellenwärter hatte sie skeptisch angesehen und gefragt, ob es sein könne, dass er Truls schon mal auf einer der Überwachungskameras gesehen hätte, jedenfalls hätte er ziemliche Ähnlichkeit mit dem Burschen, der, kurz bevor der leerstehende Arbeitsschuppen auf dem Manglerud-Grundstück abgefackelt worden war, einen Kanister Benzin gestohlen hatte. Mikael hatte lediglich erwidert, dass er keine Belohnung für die Information verlange. Er wolle nur, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen würden. Er sei überzeugt davon, dass der Tankstellenbesitzer sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sei. Der erwachsene Mann hatte verdutzt genickt.
Mikael hatte diese Wirkung auf andere Leute.
Als sie gingen, erzählte Mikael Truls, dass er sich an der Polizeihochschule beworben habe und dass Beavis sich das auch überlegen solle, immerhin gäbe es ja sogar Polizisten in seiner Familie.
Kurze Zeit später war Mikael mit Ulla zusammengekommen, woraufhin sie sich nicht mehr so häufig gesehen hatten. Aber nach der weiterführenden Schule und der Polizeischule hatten sie beide einen Job in derselben Polizeidienststelle in Stovner bekommen, in einem ordentlichen Stadtteil im Nordosten von Oslo mit Bandenkriminalität, häuslicher Gewalt und manchmal sogar einem Mord. Ein Jahr später war Mikael mit Ulla verheiratet und Truls' oder Beavis'
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