Leopard
Driver
und
The Deer Hunter
hab ich ihm ewige Treue geschworen. Und, ja, teuer dafür bezahlt. Und du?«
»John Malkovich.«
»Hm. Gut. Warum?«
Sie überlegte kurz. »Ich glaube, es ist das kultivierte Böse. Ich mag das nicht als Eigenschaft, aber ich liebe die Art, wie er es verkörpert.«
»Außerdem hat er einen femininen Mund.«
»Ist das gut?«
»Jepp. Die besten männlichen Schauspieler haben einen femininen Mund. Und/Oder eine hohe, feminine Stimme. Kevin Spacey, Philip Seymour Hoffman.« Harry hielt ihr die Zigarettenschachtel hin.
»Nur, wenn du sie mir ansteckst«, sagte sie. »Diese Jungs sind aber auch nicht gerade übertrieben maskulin.«
»Mickey Rourke. Frauenstimme. Frauenmund. James Woods. Kussmund wie eine obszöne Rose.«
»Aber keine helle Stimme.«
»Blökstimme. Wie ein Schaf.«
Kaja nahm lachend die glühende Zigarette entgegen. »Hör schon auf. Die Machotypen im Film haben tiefe, raue Stimmen. Nimm Bruce Willis.«
»Ja, nimm Bruce Willis. Rau stimmt. Aber tief?
Hardly.«
Harry kniff die Augen zusammen und flüsterte im Falsett über die Stadt:
»From up here it doesn 't look likeyou 're in charge ofjack shit.«
Kaja prustete los, die Zigarette flog ihr aus dem Mund, rollte die Böschung hinunter und verschwand mit einem Funkenschwanz im Gestrüpp. »War ich so schlecht?«
»Sensationell schlecht«, hickste sie. »Verflixt, jetzt hab ich den Machoschauspieler mit der femininen Stimme vergessen, der mir eingefallen war.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Wird dir schon wieder einfallen.«
»Even und ich hatten auch einen Platz wie diesen«, sagte Kaja und nahm eine neue Zigarette entgegen, die sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt wie einen Nagel, den sie einschlagen wollte. »Einen Platz für uns ganz allein, von dem wir glaubten, dass niemand ihn kannte. Da konnten wir uns verstecken und uns unsere Geheimnisse anvertrauen.«
»Hast du Lust, mir davon zu erzählen?«
»Wovon?«
»Von deinem Bruder. Was ist passiert?«
»Er ist gestorben.«
»Das weiß ich. Ich dachte eher an den Rest.«
»Und das wäre?«
»Naja. Wieso du ihn zum Beispiel so vergötterst.«
»Tu ich das?«
»Tust du das nicht?«
Sie sah ihn lange an. »Wein«, sagte sie.
Harry reichte ihr den Flachmann, und sie nahm einen gierigen Schluck.
»Er hat einen Zettel hinterlassen«, sagte sie. »Even war so empfindsam und verletzlich. Es gab Phasen, da war er das Lächeln und Lachen in Person. Wo er hinkam, begann die Sonne zu scheinen. Dann lösten sich deine Probleme einfach in Wohlgefallen auf, wie … ja, wie Nebel im Sonnenschein. In seinen schwarzen Phasen war es genau umgekehrt. Dann verstummte alles um ihn herum, als läge eine unausgereifte Tragödie in der Luft. Sein Schweigen war in Moll. Schön und schrecklich zugleich, verstehst du? Aber trotzdem war es so, als hätte sein Blick etwas von dem Sonnenschein gespeichert, seine Augen lachten irgendwie weiter. Das war unheimlich.«
Sie schüttelte sich.
»Es war in den Sommerferien, an einem strahlend schönen Tag, wie Even ihn nicht besser hätte machen können. Wir waren in unserem Sommerhaus auf Tjome. Ich war gleich nach dem Aufstehen in den Laden gegangen, um Erdbeeren zu kaufen. Als ich zurückkam, war das Frühstück fertig, und Mama rief ins obere Stockwerk, dass Even runterkommen sollte. Aber er reagierte nicht. Wir dachten, er schliefe noch, manchmal pennte er bis mittags. Ich ging nach oben, um etwas aus meinem Zimmer zu holen, und als ich an seinem Zimmer vorbeikam, klopfte ich an die Tür und rief ›Erdbeeren‹. Ich horchte immer noch auf eine Antwort, als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete. Wenn du dein eigenes Zimmer betrittst, schaust du dich nicht um, du siehst nur dorthin, wo du hinwillst, zum Nachttisch, auf dem das Buch liegt, das du holen wolltest, oder zur Fensterbank, wo die Schachtel mit den Blinkern steht. Ich habe ihn nicht gleich gesehen, mir ist aber aufgefallen, dass das Licht im Zimmer irgendwie anders war. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah zuerst nur seine nackten Füße. Diese Füße kannte ich in- und auswendig. Er hat mir immer eine Krone gezahlt, damit ich sie kitzelte, das liebte er. Mein erster Gedanke war, dass er flog, dass er es endlich geschafft hatte. Dann wanderte mein Blick nach oben. Er trug den blauen Pullover, den ich ihm gestrickt hatte. Er hatte sich mit einem Verlängerungskabel an der Lampe aufgehängt. Er muss gewartet haben, bis er gehört hat, dass ich aufgestanden bin und das
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