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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Enttäuschung, als er erneut gegen etwas Hartes stieß. Die Schornsteinabdeckung, dieses schwarze Metalldach, das Regen und Schnee abhielt. Er tastete sich mit dem Stock weiter, bis es ihm gelang, ihn schräg an der Abdeckung vorbeizuschieben. Hier war der Schnee massiv und dicht gepackt, härter als in der Hütte. Vielleicht kam es ihm aber auch nur so vor, weil der Schnee auch in den hohlen Stab vordrang. Mit jedem Zentimeter, den er den Skistock weiter hochschob, hoffte er, auf geringeren Widerstand zu stoßen und endlich durch die Schneedecke zu brechen. Dann könnte er den Schnee aus dem riesigen Strohhalm blasen und frische Luft bekommen, frische, lebenspendende Luft, bevor er Kaja nach oben bugsierte und auch ihr diese Injektion des Lebens schenkte. Aber der Durchbruch kam nicht. Er hatte das untere Ende des Skistocks bis an den Rand des Gitters geschoben, ohne dass er etwas erreicht hatte.
    Trotzdem gab er nicht auf, saugte mit aller Kraft und bekam trockenen, kalten Schnee in den Hals, bis sich nichts mehr rührte. Er konnte die Muskelspannung nicht mehr aufrechterhalten und rutschte nach unten. Schrie, streckte Beine und Arme aus, spürte, wie die Haut von den Händen abriss, rutschte aber dennoch weiter. Er traf Kaja mit beiden Beinen.
    »Alles okay?«, fragte Harry und richtete sich auf.
    »Alles in Ordnung«, sagte Kaja und stöhnte leise. »Und du? Schlechte Neuigkeiten?«
    »Ja«, sagte Harry und setzte sich neben sie. »Was? Bist du immer noch nicht in mich verliebt?« Harry lachte leise und zog sie an sich: »Doch, jetzt bin ich verliebt.« Er spürte warme Tränen auf ihrer Wange, als sie flüsterte. »Wollen wir dann heiraten?«
    »Ja, das sollten wir«, sagte Harry und wusste, dass in diesem Moment das Gift in seinem Hirn gesprochen hatte. Sie lachte leise. »Bis dass der Tod uns scheidet.«
    Er spürte die Wärme ihres Körpers und etwas Hartes. Das war der Waffengürtel mit ihrer Dienstwaffe. Er ließ sie los und tastete sich zu Kolkka vor. Glaubte bereits die marmorne und steife Kälte in seinem Gesicht zu spüren. Er schob seine Hand am Hals des Toten entlang in den Schnee und über den Brustkorb weiter nach unten.
    »Was machst du?«, murmelte sie schwach.
    »Ich hole Jussis Pistole.«
    Er hörte ihren Atem stocken. Spürte ihre Hand auf seinem Rücken, das unsichere Tasten, wie ein kleines Tier, das die Orientierung verloren hatte. »Nein«, flüsterte sie. »Nein, tu das nicht … nicht so … lass uns lieber einfach einschlafen … Even.«
    Harry hatte richtig vermutet. Kolkka war mit Schulterhalfter ins Bett gegangen. Er öffnete den Knopf, der die Pistole festhielt, schob die Finger um den Schaft und zog die Waffe aus dem Schnee. Fuhr mit der anderen Hand über den Lauf. Kein Korn, es war die Weiler-Pistole. Dann stand er etwas zu schnell auf, so dass ihm schwindelig wurde. Er dachte noch daran, vorsichtig zu sein, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
    Bellman stand am Rand des fast vier Meter tiefen Lochs und starrte hinein, als er das näher kommende Knattern des Rettungshubschraubers hörte. Es klang wie ein Teppichklopfer in Superspeed. Seine Leute transportierten den Schnee in ihren Rucksäcken an zusammengebundenen Gürteln nach oben.
    »Ein Fenster!«, hörte er den Mann ganz unten rufen.
    »Schlag es ein«, rief Milano zurück.
    Glas klirrte.
    »O mein Gott, verdammt!«, hörte er. Und wusste, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte. »Gebt mir mal 'nen Stab … !«
    Bellman wartete schweigend. Dann war es so weit. »Schnee. Scheißschnee, bis oben unter die Decke.«
    Bellman hörte Hundegebell. Und fragte sich, wie viele Tage es dauern würde, den Schnee aus der Hütte zu räumen.
    Harry erwachte von heftigen Schmerzen im Kiefer und spürte etwas Warmes über seine Stirn in die Augen rinnen. Offenbar hatte er sich bei dem Sturz den Kopf gestoßen und war mit dem vorstehenden Kieferknochen aufgeschlagen. Das hatte ihn aus der Ohnmacht gerissen. Seltsam war nur, dass er noch immer stand und die Pistole in der Hand hielt. Er versuchte, tief durchzuatmen, doch da war keine Luft mehr. Er wusste nicht, ob sie noch für einen letzten Versuch reichte, aber was sollte er sonst tun? Es war ganz einfach, ihm blieb keine Wahl. Er steckte die Waffe in die Hosentasche und kletterte keuchend im Schornstein nach oben. Als er das Gitter erreichte, stemmte er die Beine zur Seite und tastete suchend nach dem Ende des Metallstabes, der noch immer im Schnee steckte. Der Skistock lief leicht konisch zu,

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