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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Harry nahm den Kaffee dankend entgegen, den der Kellner ihm brachte.
    »Nein. Das ist da oben derart exponiert, dass der Wind alle eventuellen Skispuren verwischt hat. Aber Kaja meinte, dass sie möglicherweise einen Schneescooter gehört hat.«
    »Vielleicht. Es verging aber eine ganze Weile zwischen diesem Geräusch und dem Abgang der Lawine. Möglicherweise hat er den Schneescooter etwas weiter weg abgestellt, damit wir ihn nicht hören.«
    »Zu dem Schluss bin ich auch gekommen.«
    »Und was jetzt?« Harry nahm vorsichtig einen Schluck.
    »Jetzt suchen wir nach Schneescooterspuren.«
    »Der hiesige Polizist …«
    »Keiner weiß, wo der steckt. Aber ich habe uns einen Scooter besorgt, Karte, Kletterseil, Seilbremse, Eisaxt und Pickel. Also liebkosen Sie Ihre Kaffeetasse nicht zu Tode, für heute Nachmittag ist Schnee gemeldet.«
    Um zu der Abrissstelle der Lawine zu kommen, mussten sie die Hävasshütte in einem weiten westlichen Bogen umfahren, wobei sie, wie ihnen der dänische Hotelchef eingeschärft hatte, nicht zu weit in nordwestliche Richtung geraten durften, da sie sonst in die Gegend kämen, die »das Maul« genannt wurde. Den Namen hatte die Gebirgsregion wegen der wie Reißzähne geformten Felsblöcke, die überall herumstanden. Spalten und Abgründe zogen sich heimtückisch durch die Hochebene, so dass bei schlechtem Wetter jede Bewegung lebensgefährlich war, sofern man sich nicht auskannte.
    Gegen 12 Uhr blickten Harry und Bellman auf den ausgegrabenen Schornstein in der Talsenke herunter. Von Westen zogen bereits Wolken auf. Harry blinzelte und schaute nach Nordwesten. Ohne Sonne verschwanden alle Schatten und Konturen.
    »Er muss von dort gekommen sein, sonst hätten wir ihn gehört«, sagte Harry.
    »Aus dem Maul«, sagte Bellman.
    Zwei Stunden später, nachdem sie das Gelände im Schneckentempo kreuz und quer von Süden nach Norden abgesucht hatten, ohne auch nur eine Schneescooterspur zu finden, machten sie Pause. Sie saßen nebeneinander auf dem Sitz des Scooters und tranken den Kaffee aus der Thermoskanne, die Bellman mitgebracht hatte. Es hatte leicht zu schneien begonnen.
    »Auf einem Bauplatz in Manglerud habe ich einmal eine ungebrauchte Stange Dynamit gefunden«, erzählte Bellman. »Ich war damals fünfzehn. In Manglerud konnten Jugendliche drei Sachen machen. Sport, Gospelchor oder Drogen. Mich interessierte nichts davon. Sicher nicht, auf der Fensterbank der Poststelle des Einkaufszentrums zu sitzen und darauf zu warten, dass mich das Leben von Hasch über Leim und Heroin ins Grab brachte. Wie es bei vier Klassenkameraden der Fall war.«
    Harry bemerkte, dass Bellman mehr und mehr im typischen Mangleruder Tonfall sprach.
    »Ich hab das alles gehasst«, sagte Bellman. »Mein erster Schritt in Richtung Polizeischule war, mit der Dynamitstange hinter die Mangleruder Kirche zu laufen, wo die Haschclique ihren Erdbong hatte.«
    »Erdbong?«
    »Sie hatten ein Loch in den Boden gegraben und eine Bierflasche mit ausgebrochenem Boden kopfüber hineingesteckt. In der Flasche war ein kleines Gitter, auf dem der Haschklumpen glühte und vor sich hin qualmte. Unter der Erde, etwa anderthalb Meter von der Flasche bis an die Oberfläche, hatten sie Schläuche verlegt und lagen dann immer im Gras um den Erdbong herum und saugten an ihren Plastikschläuchen. Ich weiß nicht, warum …«
    »Um den Rauch abzukühlen.« Harry amüsierte sich. »So kriegt man mit weniger Stoff den besseren Rausch. Nicht schlecht für ein paar simple Haschköpfe. Ich habe Manglerud ganz offensichtlich unterschätzt.«
    »Wie dem auch sei, einen Plastikschlauch habe ich herausgezogen und stattdessen die Stange Dynamit vergraben.«
    »Sie haben den Bong gesprengt?« Bellman nickte, und Harry lachte.
    »Es hat eine halbe Minute lang Dreck geregnet«, sagte Bellman und grinste. Es wurde still. Der Wind pfiff leise und heiser.
    »Eigentlich wollte ich mich bei Ihnen bedanken«, begann Bellman und blickte in seinen Pappbecher. »Dass Sie Kaja rechtzeitig da rausgeholt haben.«
    Harry zuckte mit den Schultern. Kaja. Bellman wusste, dass Harry über sie beide Bescheid wusste. Woher? Bedeutete das auch, dass Bellman über ihn und Kaja informiert war?
    »Ich hatte da unten nichts Besseres zu tun«, sagte Harry.
    »Doch, das hatten Sie. Ich habe mir Jussis Leiche angesehen, bevor sie abtransportiert worden ist.«
    Harry antwortete nicht, sondern blinzelte in die Schneeflocken, die inzwischen dichter fielen.
    »Er hatte eine Wunde am

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