Leopard
an. Meine Nummer ist nirgends registriert, aber Tony Leike hatte sie in seinem Handy gespeichert. Ole hinterlässt keine Nachricht, vielleicht war es nur eine spontane Idee.«
»Oder er wollte dich verwirren«, sagte Björn Holm.
»Vielleicht wollte er uns auch seine Überlegenheit demonstrieren«, sagte Harry. »So wie er uns im reinsten Sinne des Wortes den Finger gezeigt hat, als er Tonys Mittelfinger im Präsidium vor meine Tür legte, direkt vor unserer Nase. Denn das kann er. Er ist der Kavalier, hat Schimpf und Schande hinter sich gelassen und zurückgeschlagen, sich an allen gerächt, die ihn verhöhnt haben, inklusive ihrer Stellvertreter. Den Zeugen. Den Huren. Und dem Fotzendieb. Dann geschieht wieder etwas Unvorhergesehenes. Das Hauptquartier in der Kadokfabrik wird entdeckt. Die Polizei hat zwar noch immer keine Spur, die direkt zu Ole führt, aber sie rücken ihm langsam gefährlich nah auf die Pelle. Deshalb geht Ole zu seinem Chef und bittet um Ferien und Überstundenausgleich. Er will mal richtig weit weg. Der Flieger ist schon gebucht. Für übermorgen.«
»Um Viertel nach neun über Stockholm nach Bangkok«, sagte Björn Holm.
»Viele Details dieser Erzählung sind nur Vermutungen, Letzteres aber nicht. Wir nähern uns. Hier ist es.«
Björn fuhr von der Straße auf den Kiesplatz vor dem großen, roten Holzgebäude. Blieb stehen und machte den Motor aus.
In keinem der Fenster brannte Licht, aber an den Wänden des Erdgeschosses hingen Plakate, die darauf hinwiesen, dass dieses Haus einmal einen Landhandel beherbergt hatte. Am anderen Ende des Platzes, etwa fünfzig Meter vor ihnen unter einer Straßenlaterne, stand ein Jeep Cherokee.
Es war still. Die Geräusche, die Zeit, der Wind, alles stand still. Aus dem Fensterspalt der Fahrertür des Cherokee ringelte sich Zigarettenrauch ins Licht.
»Der Ort, an dem alles anfing«, sagte Harry. »Die Disco.«
»Wer ist das?«, fragte Altman und nickte in Richtung Cherokee.
»Erkennen Sie ihn nicht?« Harry nahm das Zigarettenpäckchen heraus, steckte sich eine nicht angezündete Zigarette zwischen die Lippen und starrte gierig in den Zigarettenrauch. »Das Licht der Straßenbeleuchtung kann einem natürlich einen Streich spielen. Die meisten älteren Laternen strahlen gelbes Licht aus, in dem ein blaues Auto grün aussieht.«
»Den Film habe ich gesehen«, sagte Altman.
»In the Valley of Elah.«
»Hm. Guter Film. Fast Altman-Klasse.«
»Fast.«
»Sigurd-Altman-Klasse.« Sigurd antwortete nicht.
»Nun«, sagte Harry. »Sind Sie zufrieden? Ist es das Meisterwerk geworden, das Sie sich vorgestellt hatten, Sigurd? Oder darf ich Sie Ole Sigurd nennen?«
KAPITEL 74
Bristol Cream
I ch ziehe Sigurd vor.«
»Schade, dass es nicht genauso leicht ist, den Vornamen zu ändern wie den Nachnamen«, sagte Harry und beugte sich zwischen den Sitzen vor. »Als Sie mir erzählt haben, dass Sie Ihren gewöhnlichen Nachnamen mit der sen-Endung abgelegt haben, bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass das ›S‹ in Ole S. Hansen für Sigurd stehen könnte. Aber hat das wirklich geholfen, Sigurd? Hat der neue Namen Sie zu einem anderen Menschen gemacht als dem, der hier auf dem Kies alles verloren hatte?«
Sigurd zuckte mit den Schultern. »Wir laufen weg, so weit es geht. Der neue Name hat mir sicher ein Stück weit geholfen.«
»Hm. Ich habe heute ein paar Dinge überprüft. Als Sie von hier nach Oslo gezogen sind, haben Sie auf der Krankenpflegeschule angefangen. Warum haben Sie nicht Medizin studiert, Sie hatten doch ein tolles Abi?«
»Weil ich davon besessen war, nicht in der Öffentlichkeit sprechen zu müssen«, sagte Sigurd und verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln. »Ich dachte, als Krankenpfleger bliebe mir das erspart.«
»Ich habe heute mit einem Logopäden telefoniert, und der hat mir gesagt, dass es darauf ankommt, welche Muskeln geschädigt sind. Theoretisch kann man es mit etwas Training schaffen, auch mit einer halben Zunge perfekt zu sprechen.«
»Das ›S‹ ist schwierig ohne Zungenspitze. War es das, was mich verraten hat?«
Harry kurbelte das Seitenfenster herunter und zündete sich die Zigarette an. Er inhalierte tief, das Zigarettenpapier knisterte.
»Das war eins der Indizien. Aber wir wurden eine Weile in die falsche Richtung geführt. Der Logopäde hat mir auch gesagt, dass viele Menschen dazu tendieren, Lispeln und männliche Homosexualität zu koppeln. Auf Englisch heißt das
›gay lisp‹
und das ist kein Lispeln
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