Leopard
Waldrand und küsst Mia, die Tochter des Dorfpolizisten Skai. Ole, der in Mia verliebt ist, sucht draußen nach ihr und entdeckt die beiden. Wütend und frustriert stürzt er sich auf diesen Eindringling, den Charmeur Tony. Doch da zeigt Tony sich plötzlich von einer ganz anderen Seite. Verschwunden ist der lächelnde, charmante Frauenschwarm, den alle mögen. Es zeigt sich ein Raubtier. Und wie alle Raubtiere, die sich bedroht fühlen, greift er mit einer Aggressivität und Brutalität an, die sowohl Ole als auch Mia und all die anderen, die schließlich hinzukommen, paralysiert. Er ist im Blutrausch, zückt ein Messer und schneidet Ole die halbe Zunge heraus, bevor man ihn zurückhalten kann. Und obgleich Ole eigentlich unschuldig ist, trifft ihn die Scham. Die Scham darüber, dass seine unerfüllte Liebe zur Schau gestellt und er bei dem rituellen Paarungskampf der norwegischen Provinz gedemütigt wurde. Und dass sein Sprachfehler auf immer und ewig diese Niederlage bezeugen wird. Also flieht er und zieht weg. Können Sie mir folgen?« Altman nickt.
»Viele Jahre vergehen. Ole hat an einem neuen Ort Fuß gefasst, er hat eine Arbeit, für die man ihn wegen seiner Tüchtigkeit respektiert. Hat Freunde, nicht viele, aber genug. Das Wichtigste ist, dass niemand seine Vorgeschichte kennt. Was in seinem Leben fehlt, ist eine Frau. Er hat welche getroffen, über Dating-Seiten, Kontaktannoncen und manchmal auch irgendwo in einer Kneipe. Aber sie verschwinden immer schnell wieder. Nicht wegen seiner fehlenden Zunge, sondern weil er die Niederlage wie einen Rucksack voller Altlasten mit sich herumträgt. Voll dummer Redewendungen, mit denen er sich selbst niedermacht, Zurückweisungen, die er vorwegnimmt, und einem Misstrauen allen Frauen gegenüber, die sich so verhalten, als
wollten
sie ihn tatsächlich haben. Das Übliche. Der Gestank der Niederlage, der ihm anhaftet und vor dem alle weglaufen. Doch eines Tages geschieht etwas. Er trifft eine Frau, die nicht wegläuft, die selber schon viele kalte Winternächte erlebt hat. Mit ihr kann er sogar seine sexuellen Phantasien ausleben und hat Sex mit ihr in einer stillgelegten Fabrik. Er lädt sie auf eine Skitour in die Berge ein, ein erstes Zeichen, dass er es wirklich ernst meint. Sie heißt Adele Vetlesen und kommt etwas widerwillig mit.«
Björn Holm bog in Gronmo ab, wo der Qualm der Müllkippe in den Himmel stieg.
»Sie machen eine Tour in den Bergen. Vielleicht. Vielleicht langweilt Adele sich aber auch, sie ist eine rastlose Seele. Dann kommen sie zur Hävasshütte, in der bereits fünf andere Personen sind. Marit Olsen, Elias Skog, Borgny Stem-Myhre, Charlotte Lolles und Iska Peller, die krank in einem Raum für sich liegt und ihr Fieber ausschläft. Nach dem Essen wird der Kamin angezündet, und jemand öffnet eine Flasche Wein, während andere zu Bett gehen. Zum Beispiel Charlotte Lolles. Und Ole, der in seinem Zimmer im Schlafsack liegt und auf Adele wartet. Aber Adele will noch aufbleiben. Vielleicht hat sie inzwischen doch den Geruch seines Ballasts wahrgenommen. Dann geschieht etwas. Am späteren Abend trifft eine weitere Person ein. Die Hütte ist hellhörig, und Ole hört eine Männerstimme aus dem Hauptraum. Er erstarrt. Das ist die Stimme aus seinem schlimmsten Albtraum, die Stimme seiner süßesten Rachephantasien. Das
kann
nicht wahr sein, das ist doch nicht möglich. Ole lauscht. Die Stimme spricht mit Marit Olsen. Eine Weile. Dann redet sie mit Adele. Er hört sie lachen. Mit der Zeit werden ihre Stimmen leiser. Er hört, wie die anderen nebenan ins Bett gehen. Aber nicht Adele. Und auch nicht der Mann mit der bekannten Stimme. Dann hört er nichts mehr. Bevor die Geräusche von draußen zu ihm dringen. Er schleicht zum Fenster, sieht nach draußen, entdeckt sie, erkennt ihr lustvolles Gesicht und die Geräusche, die sie bei der Liebe macht. Und er weiß, dass das Unmögliche wieder passiert; die Geschichte wiederholt sich. Denn er erkennt den Mann wieder, der hinter Adele steht und sie nehmen wird. Er ist es. Tony Leike.«
Björn Holm drehte die Heizung auf. Harry schob sich im Sitz zurück.
»Als die anderen am nächsten Tag aufstehen, ist Tony verschwunden. Ole tut so, als wäre nichts gewesen. Denn er ist jetzt stärker, die langen Jahre des Hasses haben ihn gestählt. Er weiß, dass die anderen Adele und Tony gesehen und gehört haben und Zeugen seiner Erniedrigung geworden sind, genau wie beim letzten Mal. Aber er ist ruhig. Er weiß, was
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