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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gesteuert und dazu verleitet wurden, einen Mord nach dem anderen zu begehen, einer Person, die sich später als der Junge entpuppte, dem sie die Zunge aus dem Mund geschnitten haben? Können Sie mir das sagen?« Tony starrte vor sich hin und schüttelte den Kopf, als wäre er etwas ganz anderes gefragt worden.
    »Ich bin nicht einmal auf den Gedanken gekommen, bis ich im Internet gelesen habe, dass der gute alte Skai jemanden aus dem Dorf verhaftet hat. Ole. Wer hätte gedacht, dass so etwas in ihm steckt?«
    »So viel Hass, meinen Sie?«
    Tony zog eine Pistole aus der Jackentasche und sah auf die Uhr. »Harry kommt spät.«
    »Er wird schon kommen.«
    Tony lachte. »Zum Bedauern für Sie aber ohne Puls. Ich mochte Harry wirklich. Das will ich Ihnen nicht verschweigen. Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu spielen. Ich habe ihn aus Ustaoset angerufen, er hatte mir ja seine Nummer gegeben. Sein Anrufbeantworter verkündete mir, dass er sich ein paar Tage außerhalb des Telefonnetzes befinden würde. Ich musste richtig lachen. Natürlich war dieses Schlitzohr in der Hävasshütte.« Tony hatte die Pistole auf seine Handfläche gelegt, während er mit den Fingern der anderen Hand den schwarzen Stahl liebkoste. »Ich habe es ihm angesehen, als ich ihn im Präsidium getroffen habe. Er ist wie ich.«
    »Das bezweifle ich.«
    »O doch. Ein rastloser Mann. Ein Junkie. Jemand, der weiß, was er will, und dafür alles zu tun bereit ist, jemand, der über Leichen geht, wenn es sein muss. Habe ich nicht recht?«
    Kaja antwortete nicht.
    Tony warf noch einen Blick auf die Uhr. »Ich fürchte fast, wir müssen ohne ihn anfangen.«
    Er kommt, dachte Kaja. Ich muss ihm einfach noch ein bisschen Zeit verschaffen. »Und dann sind Sie abgehauen«, sagte sie, »mit dem Pass Ihres Vaters und seiner Zahnspange?« Tony sah sie an.
    Sie wusste, dass er wusste, was sie vorhatte. Aber auch, dass er gern erzählte. Stolz darauf war, wie er sie ausgetrickst hatte. Das war bei allen so.
    »Wissen Sie was, Kaja? Ich wünschte mir, mein Vater wäre jetzt hier und könnte mich sehen. Hier, auf meinem Gipfel. Ich wünschte mir, er hätte mich gesehen und verstanden. Bevor ich ihn tötete. So wie Lene verstanden hat, dass sie sterben muss. Und wie auch Sie das hoffentlich inzwischen verstanden haben, Kaja.«
    Jetzt spürte sie sie. Die Angst. Mehr ein physischer Schmerz als Panik, die jeden rationalen Gedanken unmöglich machte. Sie sah klar, hörte klar und dachte klar. Klarer als jemals zuvor, kam es ihr vor.
    »Sie haben zu töten begonnen, um zu vertuschen, dass Sie untreu waren«, sagte sie, mit etwas heiserer Stimme. »Um sich die Millionen der Galtungs zu sichern. Aber was ist mit dem Geld, das Sie Lene abgeluchst haben, reicht das wirklich, um Ihr Projekt hier unten zu retten?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Tony mit einem Lächeln und legte die Finger um den Schaft der Pistole. »Wir werden sehen. Aussteigen!«
    »Ist es das wert, Tony? Ist das wirklich all diese Menschenleben wert?«
    Kaja hielt die Luft an, als ihr der Lauf der Pistole zwischen die Rippen gedrückt wurde. Tonys Stimme fauchte in ihr Ohr:
    »Sehen Sie sich um, Kaja. Das hier, das ist die Wiege der Menschheit. Sehen Sie doch selbst, was hier ein Menschenleben wert ist. Ein paar sterben, und umso mehr werden geboren. Es ist ein ewiges Rennen, eine Runde nach der anderen, und das eine macht nicht mehr Sinn als das andere. Nur das Spiel ist von Bedeutung. Die Passion, die Leidenschaft. Spielsucht wird das von ein paar Idioten genannt. Dabei ist das alles wie der Nyiragongo. Er verschluckt alles. Lässt nichts übrig und ist zugleich die Voraussetzung für alles Leben. Ohne Passion, ohne einen Sinn, ohne die kochende Lava dort drinnen wäre hier draußen alles tot und steif gefroren. Leidenschaft, Kaja, haben Sie die? Oder sind Sie ein erloschener Vulkan, ein Staubkorn von einem Menschen, von dem nicht mehr bleiben wird als drei lächerliche Zeilen in einer Grabrede?«
    Kaja wich zur Seite, und Tony lachte schallend. »Sind Sie klar für die Weihen, Kaja? Bereit, aufgetaut zu werden?«
    Plötzlich roch sie die ätzenden Schwefeldämpfe. Der Fahrer hatte ihr die Tür geöffnet, sah sie voller Gleichgültigkeit an und zielte mit einem Gewehr mit kurzem Lauf auf sie. Noch hier, noch im Auto, zehn Meter vom Kraterrand entfernt, spürte sie die Hitze. Sie rührte sich nicht. Der schwarze Mann beugte sich in den Wagen und packte ihren Arm. Sie ließ sich ohne Widerstand herausziehen,

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