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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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einem ganz bestimmten, einsamen Ort für sich allein entspannen wollte.«
    »Und da will das Kriminalamt dem Täter dann eine Falle stellen.«
    »Ja.«
    »Aber der Plan hat sich erledigt. Und deshalb bist du jetzt hier?«
    Sie sah ihn an, ohne zu blinzeln. »Es gibt noch eine Person, die als Lockvogel dienen könnte.«
    »Iska Peller? Die ist in Australien.«
    »Und Bellman weiß, dass sie unter Polizeischutz steht und du in Kontakt mit einem gewissen McCormack warst. Bellman will, dass du sie überredest, hierherzukommen und uns als Lockvogel zur Verfügung zu stehen.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    Sie blickte auf ihre Hände. »Das weißt du. Dasselbe Druckmittel wie beim letzten Mal.«
    »Hm. Wann hast du eigentlich entdeckt, dass Opium in der Stange Zigaretten war?«
    »Als ich sie im Schlafzimmer auf die Hutablage gelegt habe. Du hast recht, das Zeug riecht kräftig. Außerdem hat mich dieser Geruch an die Pension erinnert, in der du gewohnt hast. Ich habe die Stange geöffnet und bemerkt, dass das Siegel des untersten Päckchens geöffnet war. Dann habe ich den Klumpen gefunden und Mikael informiert. Er meinte, ich solle dir die Stange ruhig geben, wenn du danach fragst.«
    »Das hat es dir bestimmt leichter gemacht, mich zu verraten. Nachdem du wusstest, dass ich dich benutzt habe.«
    Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Harry. Das hat es nicht leichter gemacht. Vielleicht hätte es das, aber …«
    »Aber?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Diese Nachricht zu überbringen, das ist das Letzte, was ich für Mikael tue.«
    »Oh?«
    »Anschließend sage ich ihm, dass ich ihn nicht mehr wiedersehen will.«
    Das Rauschen des Wasserkessels verstummte.
    »Ich hätte das schon längst tun sollen«, sagte sie. »Ich habe nicht vor, dich um Verzeihung für das alles zu bitten, Harry, das wäre wohl ein bisschen viel verlangt von dir. Aber sagen wollte ich es dir, von Angesicht zu Angesicht, das ist das Mindeste, damit du es verstehst. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich heute Nacht zu dir gefahren bin. Um dir zu sagen, dass ich das alles aus dummer, blinder Verliebtheit getan habe. Das hat mich bestechlich gemacht. Dabei dachte ich, ich wäre nicht bestechlich.« Sie legte den Kopf in die Hände. »Ich habe dich verraten, Harry. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Außer vielleicht, dass der Verrat an mir selbst noch schlimmer schmerzt.«
    »Wir sind alle bestechlich«, sagte Harry. »Nur zu unterschiedlichen Preisen und Währungen. Deine ist die Liebe. Meine die Betäubung. Und weißt du was …«
    Der Wasserkessel meldete sich wieder, dieses Mal eine Oktave höher.
    »… Ich glaube, das macht dich im Vergleich mit mir zu einem besseren Menschen. Kaffee?«
    Er drehte sich ganz um und starrte die Gestalt an. Sie stand direkt vor ihm, regungslos, als stünde sie schon lange dort, wie sein eigener Schatten. Es war vollkommen still, er hörte nur seinen eigenen Atem. Dann ahnte er eine Bewegung, etwas, das im Dunkel angehoben wurde, gefolgt von einem leisen Zischen in der Luft. Im selben Moment hatte er einen seltsamen Gedanken, nämlich dass diese Gestalt tatsächlich sein eigener Schatten war und dass er …
    Der Gedanke geriet ins Stocken, wie ein Bruch in der Zeit, eine Unterbrechung der Bildübertragung.
    Überrascht starrte er vor sich hin und spürte einen warmen Tropfen Schweiß über seine Stirn rinnen. Er sagte etwas, aber die Worte ergaben keinen Sinn, als gäbe es eine Fehlschaltung zwischen Hirn und Mund. Wieder hörte er das leise Zischen. Dann verstummte das Geräusch. Alle Geräusche. Jetzt hörte er nicht einmal mehr seinen eigenen Atem. Dafür bemerkte er, dass er kniete und das Telefon neben ihm auf dem Boden lag. Ein weißer Streifen Mondlicht zog sich vor ihm über die Dielen, verschwand aber, als der Schweißtropfen seinen Nasenrücken erreichte, ihm in die Augen rann und ihm die Sicht nahm. In dem Augenblick realisierte er, dass es kein Schweiß war.
    Der dritte Schlag fühlte sich wie ein Eiszapfen an, der ihm durch Kopf und Hals in den Körper getrieben wurde. Alles erstarrte vor Kälte.
    Ich will nicht sterben, dachte er und versuchte, den Arm schützend über seinen Kopf zu heben. Aber er war nicht mehr in der Lage, ein einziges Glied zu bewegen, und verstand, dass er gelähmt war.
    Den vierten Schlag nahm er nicht mehr wahr, aber dem Holzgeruch entnahm er, dass er mit dem Gesicht auf dem Boden lag. Er blinzelte ein paarmal und konnte auf einem Auge schließlich wieder sehen.

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