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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Direkt vor sich erkannte er ein Paar Skischuhe. Langsam kamen auch die Laute wieder; sein eigener, keuchender Atem, der Atem des anderen, ruhig, das Tropfen des Blutes von seiner Nasenspitze auf den Boden. Er hörte die Stimme, es war nur ein Flüstern, aber die Worte klangen, als schrie er sie ihm ins Ohr: »Dann sind wir nur noch einer.«
    Als die Uhr im Wohnzimmer zweimal schlug, saßen sie noch immer in der Küche und redeten.
    »Der siebte Mann«, sagte Harry und goss ihr Kaffee nach. »Schließ die Augen. Wie stellst du ihn dir vor? Schnell, denk nicht nach!«
    »Er ist voller Hass«, sagte Kaja. »Zornig. Unausgeglichen, unangenehm. So ein Typ, wie ihn Frauen wie Adele treffen, abchecken und wieder wegstoßen. Er hat Stapel von Pornos und Filmen zu Hause.«
    »Warum glaubst du das?«
    »Ich weiß nicht. Weil er Adele gebeten hat, in Schwesternkleidern in einer leeren Fabrik aufzutauchen.«
    »Mach weiter.«
    »Er ist feminin.«
    »Warum das?«
    »Tja, hohe Stimme. Adele hat gesagt, seine Stimme hätte sie an ihren schwulen Mitbewohner erinnert.« Sie hob die Tasse an die Lippen und lächelte. »Vielleicht ist er aber auch ein Schauspieler. Mit heller Stimme und Kussmund. Der Name dieses Machoschauspielers mit der femininen Stimme ist mir im Übrigen noch immer nicht eingefallen.«
    Harry prostete ihr mit seiner Tasse zu. »Und was ist mit der Szene, die Elias Skog nachts draußen vor der Hütte beobachtet hat? Wer waren die beiden? War er tatsächlich Zeuge einer Vergewaltigung?«
    »Marit Olsen war es auf jeden Fall nicht«, sagte Kaja.
    »Hm. Wieso?«
    »Weil sie die einzige Dicke in der Hütte war. Die hätte Elias erkannt und vermutlich auch ihren Namen genannt, als er davon sprach.«
    »Zu dem Schluss bin ich auch gekommen. Aber was meinst du, war das eine Vergewaltigung?«
    »Hört sich ja ein bisschen so an. Er hat ihr die Hand auf den Mund gelegt, ihre Rufe erstickt und sie dann ins Klohäuschen gezogen. Was sollte das sonst sein?«
    »Und warum hat Elias Skog es dann nicht gleich für eine Vergewaltigung gehalten?«
    »Ich weiß nicht. Wegen ihrer Körpersprache … der Art, wie sie beieinanderstanden.«
    »Genau. Das Unterbewusstsein fasst manchmal mehr auf als der Kopf. Er hat das so eindeutig für freiwilligen Sex gehalten, dass er sich einfach wieder schlafen gelegt hat. Erst lange danach, als er von den Morden gelesen hat, ist ihm diese fast vergessene Szene wieder in den Sinn gekommen. Und da kam ihm die Idee, dass es auch eine Vergewaltigung gewesen sein könnte.«
    »Ein Spiel«, sagte Kaja. »Das wie Vergewaltigung aussieht. Wer macht so was? Doch nicht ein Mann und eine Frau, die sich gerade erst in einer Touristenhütte begegnet sind und nach draußen gehen, um sich zu beschnuppern.«
    »Also sind sie sich früher schon mal begegnet«, sagte Harry. »Und dabei kann es sich, soweit wir wissen, nur um …«
    »Adele und den Unbekannten handeln. Den siebten Mann.«
    »Wenn nicht nachts noch andere Gäste angekommen sind.« Harry schnippte die Asche von seiner Zigarette.
    »Das Klo?«, fragte Kaja.
    »Auf dem Flur, letzte Tür links.«
    Er beobachtete den Zigarettenqualm, der sich nach oben unter den Lampenschirm über dem Tisch schraubte. Wartete. Er hörte die Tür nicht, erhob sich und ging ihr nach.
    Sie stand im Flur und starrte auf die Tür. Im Halbdunkel konnte er sie schlucken sehen, dann blitzte ein nasser, spitzer Zahn auf. Er legte seine Hand ganz oben auf ihren Rücken und spürte durch ihre Kleidung das Klopfen ihres Herzens. »Ist es okay, wenn ich sie für dich aufmache?«
    »Du musst mich für verrückt halten«, sagte sie.
    »Das sind wir doch alle. Ich mache jetzt auf, in Ordnung?«
    Sie nickte, und er öffnete.
    Harry saß am Küchentisch, als sie zurückkam. Sie trug ihren Regenmantel.
    »Ich sollte jetzt nach Hause gehen.«
    Harry nickte und begleitete sie zur Tür. Beobachtete sie, als sie sich bückte, um ihre Stiefel anzuziehen.
    »Das passiert nur, wenn ich müde bin«, sagte sie, »das mit den Türen.«
    »Ich weiß«, sagte Harry. »Mir geht es so mit Fahrstühlen.«
    »Oh?«
    »Ja.«
    »Erzähl.«
    »Ein anderes Mal, vielleicht. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja wieder.«
    Sie wurde still. Brauchte lang für die Reißverschlüsse ihrer Stiefel. Dann richtete sie sich abrupt auf und stand so dicht vor ihm, dass er ihren Duft wie ein Echo wahrnahm.
    »Erzähl es mir jetzt«, sagte sie mit einer Wildheit im Blick, die er nicht zu deuten wusste.
    »Nun«, sagte er

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