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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Einzige, was ich habe. Sie ist mein Stamm. Und meine Aufgabe ist es, Morde aufzuklären. Sei es für das Kriminalamt oder für das Dezernat für Gewaltverbrechen. Können Sie das nachvollziehen?«
    Mikael Bellman knetete seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger.
    Harry zeigte mit einem Nicken zur Wand. »Was sind Sie da grad geklettert, Bellman? Sieben plus?«
    »Acht minus. On sight .«
    »Das ist hart. Und ich tippe mal, Sie finden das hier noch härter. Aber anders geht es nicht für mich.«
    Bellman räusperte sich. »Okay. Okay, Harry.« Er zerrte ungeduldig an den Schnüren seines Rucksackes. »Wollen Sie uns helfen?«
    Harry steckte das Zigarettenpäckchen zurück in die Tasche und neigte den Kopf nach vorn. »Selbstverständlich.«
    »Ich muss mich aber erst mit Ihrem Chef in Verbindung setzen, ob das in Ordnung geht.«
    »Nicht nötig«, sagte Harry und streckte sich. »Ich habe ihn bereits informiert, dass ich ab sofort für das Kriminalamt arbeite. Wir sehen uns um zwei Uhr.«
     
    Iska Peller schaute aus dem Fenster des zweistöckigen Backsteinhauses, das sich in nichts von den anderen Häusern in der Straße unterschied. Es hätte in jeder x-beliebigen Straße in jeder x-beliebigen englischen Stadt stehen können, befand sich aber in dem kleinen Stadtteil Bristol in Sydney, Australien. Ein kalter Südwind war aufgekommen. Sobald die Sonne unterging, würde die Nachmittagshitze ihren Klammergriff lockern.
    Sie hörte einen Hund bellen und den dichten Autoverkehr zwei Häuserblocks entfernt.
    Der Mann und die Frau in dem Auto auf der anderen Straßenseite waren abgelöst worden, nun saßen dort zwei Männer. Sie tranken langsam ihren Kaffee. Aus Pappbechern mit Deckeln. Langsam, weil es keinen einzigen Grund gab, sich zu beeilen, wenn man eine achtstündige Wache vor sich hatte, in der absolut nichts passieren würde. Einen Gang runterschalten, den Stoffwechsel dimmen, es wie die Aborigines machen: sich in einen trägen, abgekapselten Zustand versetzen, eine Art Wartemodus, in dem sie stundenlang, ja, tagelang verharren konnten, wenn es sein musste. Sie fragte sich, was diese langsamen Kaffeetrinker ausrichten wollten, falls wirklich etwas geschah.
    »Tut mir leid«, sagte sie in den Telefonhörer und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu dämpfen, das von ihrer unterdrückten Wut herrührte. »Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, Charlottes Mörder zu finden, aber das kommt nicht in Frage.« Die Wut gewann doch die Oberhand. »Wie können Sie mich so etwas überhaupt fragen! Ich bin hier schon Lockvogel genug. Mich kriegen keine zehn Wildpferde noch einmal nach Norwegen. Sie sind der Polizist und werden dafür bezahlt, das Monster zu fangen, wieso stellen Sie sich nicht selber als Köder zur Verfügung?«
    Sie beendete das Gespräch und schleuderte den Hörer quer durchs Zimmer in den Sessel, aus dem die Katze erschrocken aufsprang und in die Küche flüchtete. Sie legte die Hände vors Gesicht und ließ den Tränen freien Lauf. Ach, Charlotte. Liebe, liebe, geliebte Charlotte.
    Früher hatte sie nie Angst im Dunkeln gehabt, aber inzwischen dachte sie kaum noch an etwas anderes: Bald würde die Sonne untergehen, und dann kam die Nacht, gnadenlos, immer und immer wieder.
    Das Telefon spielte die Anfangstöne von einem Antony-andthe-Johnsons-Song. Das Display auf dem Sesselkissen blinkte. Sie stand auf, sah nach, und ihre Nackenhaare stellten sich auf. Die Nummer des Anrufers begann mit +47. Schon wieder Norwegen.
    Sie hob den Hörer ans Ohr.
    »Ja?«
    »Ich bin es noch mal.«
    Sie seufzte erleichtert. Es war nur der Polizist.
    »Eine Frage noch. Wenn Sie nicht persönlich hierherkommen wollen, dürfen wir dann wenigstens Ihren Namen verwenden?«
     
    Kaja studierte den Mann, der seinen Kopf an die Brust der rothaarigen Frau gelegt hatte, die ihr Gesicht zu seinem Nacken herunterbeugte.
    »Was siehst du?«, fragte Mikael. Seine Stimme hallte zwischen den Museumswänden wider.
    »Sie küsst ihn«, sagte Kaja und trat einen Schritt näher an das Bild heran. »Vielleicht tröstet sie ihn auch.«
    »Sie beißt ihn und saugt ihm das Blut aus«, sagte Mikael.
    »Wieso glaubst du das?«
    »Weil Munch das Bild ›Vampir‹ genannt hat. Alles klar?«
    »Ja. Ich fahre in einer Stunde mit dem Zug nach Ustaoset.«
    »Wieso wolltest du mich hier treffen?«
    Kaja holte tief Luft. »Um dir zu sagen, dass wir uns nicht mehr treffen können.«
    Mikael wippte auf den Füßen. »Liebe und

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