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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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aufzuheben, als das Telefon klingelte. Søs kamen oft noch Sachen in den Sinn, wenn sie gerade aufgelegt hatte. Er richtete sich auf.
    »Was noch?«
    Ein tiefes Räuspern. Dann eine Stimme, die sich als Abel vorstellte. Der Name erschien ihm vertraut, und Harry durchforstete automatisch sein Gedächtnis, in dem die Akten alter Fälle sorgsam geordnet waren und Informationen enthielten, die nie gelöscht wurden: Namen, Gesichter, Hausnummern, Daten, der Klang einer Stimme oder die Farbe und das Baujahr eines Autos. Dafür konnte er von einem Tag auf den anderen den Namen des Nachbarn vergessen, mit dem er seit drei Jahren Tür an Tür wohnte, oder Olegs Geburtstag. Man nannte das Ermittlergedächtnis.
    Harry hörte zu, ohne den Mann zu unterbrechen.
    »Verstehe«, sagte er schließlich. »Danke, dass Sie angerufen haben.«
    Er legte auf und wählte eine andere Nummer.
    »Kriminalamt«, antwortete eine müde Stimme aus der Telefonzentrale. »Sie haben versucht, Mikael Bellman anzurufen?«
    »Ja, hier ist Hole vom Morddezernat. Wo ist Bellman?«
    Die Stimme teilte ihm mit, wo Bellman war.
    »Logisch«, sagte Harry.
    »Wie bitte?« Ein unterdrücktes Gähnen.
    »Das macht er doch immer, nicht wahr?«
    Harry ließ das Telefon in seine Tasche gleiten und starrte aus dem Küchenfenster. Die Krümel des Knäckebrotes knirschten unter seinen Füßen, als er ging.
     
    »Skøyen Kletterzentrum« stand auf der Glastür, die zum Parkplatz führte. Harry schob sie auf und ging hinein. Auf der Treppe nach unten musste er einer Schulklasse Platz machen, die gutgelaunt zum Ausgang strömte. An einem Schuhständer am Fuß der Treppe zog er seine Boots aus. In der großen Kletterhalle hingen ein halbes Dutzend Männer in den zehn Meter hohen Wänden. Wobei Wände ein etwas hochtrabendes Wort war, die künstlichen Felsen sahen eher wie die Pappmaché-Kulissen der Tarzanfilme aus, die er sich in seiner Kindheit gemeinsam mit Øystein im Symra-Kino angeschaut hatte. Sah man einmal davon ab, dass diese mit Griffen, Bolzen und Karabinern in grellen Farben aufgepeppt worden waren. Ein diskreter Geruch nach Seife und Fußschweiß stieg aus den blauen Matten am Boden, über die Harry lief. Er blieb neben einem O-beinigen, gedrungenen Mann stehen, der konzentriert zu dem Überhang über ihm hochschaute. Von seinem Klettergurt aus führte ein Seil zu dem Mann, der exakt in diesem Moment in acht Metern Höhe an einer Hand in der Wand hing, plötzlich einen Fuß nach oben schwang und sich mit der Ferse in einem birnenförmigen Griff verankerte, bevor er mit dem anderen Fuß auf einem Rest Struktur Halt fand und das Ende des Seils mit einem eleganten Schwung in den obersten Karabiner einhakte.
    »Got you!«, rief er, lehnte sich nach hinten ins Seil und stemmte die Füße gegen die Wand.
    »Guter Heelhook«, kommentierte Harry. »Ihr Chef ist ein kleiner Blender, was?«
    Jussi Kolkka würdigte Harry keines Blickes und antwortete ihm nicht, während er die Seilbremse lockerte.
    »Im Büro haben sie mir gesagt, dass Sie hier sind«, sagte Harry zu dem Mann, der langsam zu ihnen nach unten schwebte.
    »Gleiche Zeit, jede Woche«, sagte Bellman. »Einer der wenigen kleinen Vorteile des Polizistendaseins ist, dass man während der Dienstzeit trainieren darf. Wie sieht es mit Ihnen aus, Harry? Sie sehen aus, als hätten Sie eine Defi-Phase hinter sich. Viel Muskelmasse pro Kilo, denke ich. Ideal fürs Klettern, wissen Sie.«
    »Keine Ambitionen«, sagte Harry.
    Bellman landete breitbeinig auf dem Boden und zog etwas Seil nach, damit er den Achterknoten lösen konnte.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich sehe keinen Sinn darin, so hoch zu klettern. Ich kraxele manchmal auf Felsblöcken rum.«
    »Bouldern«, schnaubte Bellman, löste das Seil und trat aus der Schlinge. »Sie wissen, dass es schmerzhafter ist, zwei Meter ohne Seil zu fallen als dreißig mit?«
    »Ja«, sagte Harry und grinste schief. »Das weiß ich.«
    Bellman setzte sich auf eine der Holzbänke, zog sich die ballettschuhartigen Kletterschuhe aus und rieb sich die Füße, während Kolkka das Seil nach unten zog und aufzuwickeln begann. »Sie haben meine Nachricht erhalten?«
    »Ja.«
    »Warum eilt es dann so, wir sehen uns dann doch um zwei?«
    »Das wollte ich mit Ihnen besprechen, Bellman.«
    »Besprechen?«
    »Bevor wir die anderen treffen. Wir müssen vorher absprechen, unter welchen Prämissen ich in Ihrem Team mitarbeite.«
    »Team?«, Bellman lachte. »Wovon reden Sie,

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