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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Harry?«
    »Muss ich wirklich deutlicher werden? Sie brauchen mich nicht, um in Australien anzurufen, um eine Frau anzurufen und sie zu bitten, für uns als Lockvogel zu fungieren. Das schaffen Sie spielend allein. Was Sie wollen, ist Hilfe .«
    »Harry, also wirklich, jetzt …«
    »Sie sehen erschöpft aus, Bellman. Sie spüren den Druck, der nach Marit Olsens Mord eskaliert ist.« Harry setzte sich neben den Kriminaloberkommissar auf die Bank. Selbst sitzend überragte er ihn noch um zehn Zentimeter. » Feeding frenzy vor der Presse, und das jeden verfluchten Tag. Unmöglich, an einem Zeitungsständer vorbeizugehen oder den Fernseher einzuschalten, ohne ständig an den Fall erinnert zu werden. Den Fall, den Sie nicht gelöst haben. Den Fall, mit dem Sie Ihre Vorgesetzten ständig nerven. Den Fall, der täglich eine Pressekonferenz fordert, bei der die Geier wild durcheinander ihre Fragen stellen. Und jetzt ist der Mann, den Sie gehenlassen mussten, einfach von der Bildfläche verschwunden. Weitere Pressegeier kommen angeflogen, und die ersten reden schon Schwedisch, Dänisch, ja sogar Englisch. Ich war schon mal an Ihrer Stelle, Bellman. Bald reden Sie auch noch dieses beschissene Französisch. Diesen Fall müssen Sie lösen, Bellman, aber Sie stecken fest, kommen nicht weiter.«
    Bellman antwortete nicht, aber seine Kiefermuskulatur arbeitete. Kolkka hatte das Seil im Rucksack verstaut und kam auf sie zu, aber Bellman winkte ihn weg. Der Finne machte kehrt und trottete wie ein gehorsamer Terrier auf den Ausgang zu.
    »Was wollen Sie, Harry?«
    »Ich biete Ihnen an, das hier unter vier Augen zu klären statt nachher vor allen Leuten.«
    »Sie wollen, dass ich Sie um Hilfe bitte?«
    Harry sah, dass Bellmans Gesicht eine Spur dunkler wurde.
    »Was für eine Verhandlungsposition glauben Sie eigentlich zu haben, Harry?«
    »Nun, ich denke, die ist besser als jemals zuvor.«
    »Da irren Sie sich.«
    »Kaja Solness will nicht mehr für Sie arbeiten. Bjørn Holm haben Sie schon befördert, und wenn Sie ihn wieder degradieren und er zurück an die Tatorte muss, ist ihm das nur recht. Der Einzige, dem Sie jetzt noch schaden können, bin ich, Bellman.«
    »Haben Sie bedacht, dass ich Sie einsperren lassen könnte, so dass Sie Ihren Vater vor seinem Tod nicht mehr sehen?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Da ist niemand mehr anzutreffen, Bellman.«
    Mikael Bellman zog überrascht die Augenbrauen hoch.
    »Sie haben heute Morgen aus dem Krankenhaus angerufen«, sagte Harry. »Mein Vater ist heute Nacht ins Koma gefallen. Sein Arzt, Abel, meint, dass er nicht mehr aufwachen wird. Was ich mit meinem Vater bis jetzt noch nicht geklärt habe, wird wohl ungeklärt bleiben.«

KAPITEL 54
     
    Tulpe
     
    B ellman sah Harry schweigend an. Das heißt, seine rehbraunen Augen waren Harry zugewandt, während sein Blick nach innen gerichtet war. Harry wusste genau, dass dort drinnen jetzt eine Ausschusssitzung stattfand, eine Diskussion mit weit auseinandergehenden Meinungen. Bellman löste ganz langsam das Chalkbag, das er sich um die Taille gebunden hatte, um Zeit zu gewinnen. Zeit zum Nachdenken. Dann stopfte er das Bag mit einer wütenden Geste in den Rucksack.
    »Falls – und nur falls – ich Sie um Hilfe bitten sollte, ohne ein Druckmittel gegen Sie in der Hand zu haben«, sagte er, »warum um alles in der Welt sollten Sie mir dann helfen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Bellman schaute von seinem Rucksack hoch. »Sie wissen es nicht?«
    »Nun, sicher nicht aus Zuneigung zu Ihnen, Bellman.«
    Harry atmete tief ein. Fingerte an der Zigarettenschachtel herum. »Lassen Sie es mich so sagen: Selbst ein Mensch, der sich völlig einsam und isoliert fühlt, stellt möglicherweise irgendwann fest, dass er so etwas wie ein Zuhause hat. Einen Platz, an dem er sich vorstellen kann, begraben zu werden. Und wissen Sie, wo ich begraben werden möchte, Bellman? Im Park vorm Polizeipräsidium. Nicht weil mir die Polizei so am Herzen liegt oder ich je ein Anhänger des sogenannten Korpsgeistes gewesen wäre. Im Gegenteil, ich habe oft genug auf die feige Loyalität der Polizisten zum Korps gespuckt, diese inzestuöse Kameradschaft, die nur daher rührt, dass die Leute hoffen, eines schönen Regentages auf den Dienst eines Kollegen zurückgreifen zu kön nen. Ein Kollege, der dich rächt, dir eine entlastende Zeugenaussage gibt oder, wenn nötig, beide Augen zudrückt. Ich hasse das alles.«
    Harry drehte sich zu Bellman um.
    »Aber die Polizei ist das

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