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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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zog. Als er die Tür öffnete, sah ich, dass die Sitze mit Plastik überzogen waren. Ich habe nicht verstanden, was Tony zu ihr gesagt hat, aber ich zoomte sie mit der Kamera heran. Sah, dass er ihr einen Stift in die Hand gedrückt hatte und ihr etwas diktierte, das sie auf eine Karte schrieb.«
    »Die Postkarte aus Kigali«, sagte Bellman. »Er hatte alles vorher geplant. Sie musste verschwinden.«
    »Ich habe Fotos gemacht, hab an nichts anderes gedacht. Bis ich plötzlich sah, wie er die Hand hob und ihr das Messer in den Hals stieß. Ich traute meinen eigenen Augen nicht. Das Blut spritzte von innen gegen die Windschutzscheibe.«
    Die zwei Männer bemerkten nicht, dass Krohn nach Luft schnappte.
    »Er wartete eine Weile, ließ das Messer einfach in ihrem Hals stecken, als wollte er sie ausbluten lassen. Dann nahm er sie auf seine Arme und verstaute sie im Kofferraum. Ehe er sich wieder in sein Auto setzte, blieb er stehen und witterte wie ein Tier. Er stand im Licht einer Laterne, so dass ich es deutlich sehen konnte: die weit aufgerissenen Augen, das gleiche Grinsen im Gesicht wie damals, als Tony vor der Disco auf mir hockte und mir das Messer in den Mund steckte. Noch lange nachdem Tony mit Adele abgefahren war, saß ich wie gelähmt da. Ich konnte mich einfach nicht rühren. Mir war klar, dass ich Anders Galtung keinen Brief schreiben konnte. Ich konnte niemandem davon erzählen, hatte ich mich doch gerade mitschuldig gemacht an einem Mord.«
    Sigurd nahm einen kleinen, beherrschten Schluck aus dem Wasserglas, das vor ihm stand, und blickte zu Johan Krohn, der ihm zunickte.
    Bellman räusperte sich. »Rein technisch waren Sie nicht mitschuldig. Man könnte Sie aber wegen Erpressung und Betrugs verklagen. Sie hätten an diesem Punkt aufhören können. Natürlich wäre es unangenehm für Sie geworden, aber Sie hätten zur Polizei gehen können. Sie hatten ja sogar Fotos, die alles bewiesen.«
    »Ich wäre trotzdem verurteilt worden. Man hätte mir garantiert vorgehalten, dass niemand so gut wie ich wisse, dass Tony Leike gewalttätig wird, wenn man ihn in die Ecke drängt. Und dass ich alles mit Vorsatz geplant hätte.«
    »Haben Sie bei Ihrer Planung denn wirklich nicht an diese Möglichkeit gedacht?«, fragte Bellman und übersah den warnenden Blick Krohns.
    Sigurd Altman lächelte. »Ist es nicht seltsam, Herr Kommissar, wie schwer es manchmal ist, seine eigenen Pläne zu durchschauen? Und welche Streiche einem die Erinnerung spielt? Ich weiß wirklich nicht mehr, womit ich gerechnet habe.«
    Weil du dich nicht erinnern willst, dachte Bellman. Er nickte und brummte zustimmend, um so etwas wie Dankbarkeit vorzutäuschen, dass Altman ihm zu neuen Einsichten in die Seele des Menschen verholfen hatte.
    »Ich habe ein paar Tage nachgedacht«, sagte Altman. »Dann bin ich zurück zur Håvasshütte und habe die Seite aus dem Gäs tebuch gerissen, auf der die Namen und Adressen all derer standen, die in jener Nacht dort waren. Danach habe ich Tony den nächsten Brief geschrieben und ihm darin zu verstehen gegeben, dass ich genau wisse, was er getan hat. Ich hätte ihn beim Sex mit Adele Vetlesen auf der Håvasshütte beobachtet. Ich forderte Geld und unterzeichnete den Brief mit Borgny Stem-Myhre. Fünf Tage später las ich in der Zeitung, dass sie ermordet in einem Keller gefunden worden war. An diesem Punkt hätte es enden sollen. Die Polizei sollte Tony auf die Spur kommen und ihn festnehmen. So war es geplant, ihr hättet ihn kriegen müssen.«
    Sigurd Altman hatte seine Stimme erhoben, und Bellman war sich fast sicher, Tränen in den Augen seines Gegenübers zu erkennen.
    »Aber ihr hattet ja nicht mal eine Spur, ihr standet vollkommen auf dem Schlauch. Also musste ich ihn mit weiteren Opfern füttern, mit neuen Namen von der Liste aus der Hütte. Ich schnitt die Bilder der Opfer aus und hängte sie an die Wand des Schneideraums in der Kadokfabrik, gemeinsam mit den Kopien der Briefe, die ich im Namen der Opfer geschrieben hab.
    Immer wenn Tony eine Person getötet hatte, bekam er einen Brief von einer anderen, die behauptete, sie habe den letzten Brief geschrieben und wisse, dass er zwei oder drei oder schließlich vier Personen auf dem Gewissen habe. Und dass der Preis für ihr Schweigen entsprechend gestiegen sei.« Altman beugte sich vor, seine Stimme klang gequält. »Ich habe das doch nur getan, um euch die Chance zu geben, ihn zu kriegen. Ein Mörder macht Fehler, nicht wahr? Je mehr Morde, desto

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