Ler-Trilogie 01 - Morgenrötes Krieger
Stammgäste noch nicht eingetrudelt seien. Der Boden des Etablissements bestand aus gestampftem Lehm und roch stark nach abgestandenem Bier. Liszendir, eigen wie sie war, zog sich ihre Stiefel wieder an, bevor sie sich ganz ins trübe Dämmerlicht des Innenraums wagte. Nachdem Hath’ingar sich einen einzigen Krug Bier hinter der Bar gesichert hatte, wo ein weibliches Menschenwesen g e räuschvoll mit eindringlichen Schnarchtönen ihr Mittag s schläfchen hielt, führte er sie zu einem halbwegs saub e ren Tisch in einer ungestörten Ecke und forderte sie auf, Platz zu nehmen. Dann nahm er einen kräftigen Schluck, prustete und setzte den Krug geräuschvoll wieder ab.
„Wir sind Händler, angeheuert von einer Gruppe auf Kenten “, begann Han. „Ich habe von eurer mißlichen Lage hier auf Chalcedon gehört und machte mich mit Liszendir sofort auf den Weg, nachdem ich bei Händler Efrem gekündigt hatte. Erinnerst du dich an ihn?“
„Oh ja. Efrem, dieser Schurke, ein verschlagener Be u telschneider und Geldraffer – soweit ich weiß. Er war fast genauso schlimm wie diese Schurken, aber dennoch haben wir ihn bei einigen Geschäften ausgetrickst und ihm so manche gute Ware abgeknöpft, bevor er sich wi e der aus dem Staube machte und sich in die Zivilisation absetzte.“
„Warum ist er abgereist? War Geld der Grund? Er e r zählte uns, daß er Chalcedon verlassen habe, um für all die Dinge eine Entschädigung zu bekommen, die er hier ohne Bezahlung zurückgelassen hat.“
„Solche Geschichten traue ich ihm zu – typisch für ihn. Nein, wir zahlten gutes Geld für alles, was wir ihm abgenommen haben: Platin, Thor und Gold! Es war – wenn du so willst – ein hartes, aber ehrliches Geschäft. Nein, wirklich nicht. Er machte sich davon, weil wir ihn hier für unseren Wiederaufbau einsetzen wollten. Ich wette, er hockt jetzt in irgendeinem lauschigen Kurort und gibt damit gewaltig an.“
„Nein, er ist tot. Jemand hat ihn am Tag unserer A b reise ermordet.“
Hath’ingar hob die Augenbrauen, die – soweit Han es beobachten konnte – vom Feuer versengt waren. „Ein Mord? Im Ernst? Hm. Tut mir leid, das zu hören. Er hat uns bestohlen, das hat er – wahr genug; aber selbst vor einem Kenten-Gericht hätte ich es nicht mit seinem L e ben aufgewogen.“ Er wandte sich plötzlich Liszendir zu. „Und du, meine Lady? Willst du nichts dazu sagen?“
Sie antwortete zurückhaltend, jedoch in einer Sprache, die in nichts dem ähnelte, was Han jemals zuvor gehört hatte. Eine der vielen Multi-Sprachformen, dachte er, als er den abgehackten Singsang hörte. Doch bevor er sich so richtig hineinhören konnte, hob der Stadtratsabgeor d nete in einer abwehrenden Bewegung seine Hand.
„Hör auf, nicht hier. Heute sprechen wir alle ohne Ausnahme auf Chalcedon die Allgemeinsprache.“ Er wirkte seltsam verwirrt. „Wir mußten alle miteinander tüchtig zupacken. Es gab eine Menge Mißtrauen. Imme r hin waren die Krieger Ler.“ Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Ist ja möglich, daß sie sich unter die Arbeiter gemischt haben.“
Liszendir ergriff das Wort: „Ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Ich hörte von dieser Reise, und weil ich eine nerh bin, war ich bei Eltern und Innenverwandten entbehrlich. Ich wollte das Handelsgewerbe erlernen und hatte kein besseres Angebot. Wir vermuten, daß Efrem wegen seines Geldes ermordet wurde.
Man hat dieses Geld nie gefunden. Wir …“, sie deutete auf Han, „… sind Partner auf Zeit. Ich bin zur Hälfte bete i ligt und hafte für unser Schiff.“ Han war erstaunt: also auch eine Lügnerin. Er wußte nicht genau, ob sie dieser selts a men Kreatur mißtraute oder ob sie bloß vorsichtig war.
Hath’ingar nahm noch einmal einen gewaltigen Schluck von dem sauren Bier und gab den Krug an Li s zendir weiter. Sie roch daran und nippte kurz. Plötzlich drehte sie sich zur Seite, nieste schnell mehrere Male hintereinander wie eine Katze und verzog das Gesicht. Dann reichte sie Han den Krug, der – durstig wie er war – mit großem Wohlbehagen zugriff und dankbar drau f losschluckte.
„Schön, schön“, meinte der füllige Lokalpolitiker. „Was wird uns hier draußen wohl als nächstes passieren? Werden ja sehen, wenn es soweit ist. War alles ganz a n ders, als ich noch ein junger Hirsch war.“ Er wurde ernst. „Aber erzählt doch weiter!“
Sie machten ihm klar, daß sie vor Abwicklung der G e schäfte zuerst einmal einen Platz zum Wohnen brauc h ten.
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