Lerchenherzen
zweireihige Joppe mit glänzenden Knöpfen. Er hat neue Schuhe mit Gummisohlen bekommen und neue weiße Socken. Sogar die Unterwäsche ist neu, und Ragnhild hat ihm in der Stadt einen Schlips gekauft. Weinrot mit kleinen weißen Punkten, er hat ein Gummiband, mit dem er unter dem Hemdkragen mit einem kleinen Haken um den Hals befestigt wird.
Feierlich und andächtig steht er mitten in der Küche auf dem Fußboden, während die beiden Frauen um ihn herumgehen und die neuen Sachen zurechtzupfen. Ragnhild bindet ihm den Schlips um den Hals und hält ihn bewundernd ein Stück weit von sich ab, ehe sie ihn auf den Schoß ziehtund heftig drückt. Mathilde streichelt ihm übers Haar, bevor sie ihm die Schirmmütze aufsetzt. »Schmuck siehst du aus, mein Junge.« Und das ist viel für sie.
Er steht auf dem Fußboden in der Küche und spürt, daß er genau hier und genau jetzt in der Mitte der Welt ist, in der Mitte von allem, alles andere ist »rundherum« oder »früher«. Sogar die Mutter, die während dieser Wochen in seiner Erinnerung und in seinen Träumen so blaß und traurig gegenwärtig war, wird »früher«. Sie gleitet in die Schatten, und was sie zurückläßt, sind unbestimmte Erinnerungen, aber weder Sehnsucht noch Traurigkeit. Er spürt, daß er zum ersten Mal einfach froh ist, nichts als froh.
Aber in der Nacht macht er wieder ins Bett, und das hat er seit einiger Zeit nicht mehr getan. Er ist verzweifelt und schämt sich sehr, und weinend
bittet er Ragnhild inständig, Lars nichts davon zu sagen.
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* Im Jahre 1814 beschloß am 17. Mai eine gewählte Versammlung in Eidsvoll eine liberale Reichsverfassung für Norwegen. Dieser Tag wird bis heute als Feiertag begangen.
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Auf der Anlegebrücke, auf der die Menschen festlich gestimmt und erwartungsvoll dicht an dicht stehen, klammert er sich an Ragnhilds Hand, undals Lars in der Menge endlich auftaucht, ist Nils-Jan so scheu und verschüchtert, daß er sich gerade nur getraut, ihm die Hand zu geben und einen Diener zu machen. Aber auf dem Weg nach Hause in der Taxe und bei Tisch in der guten Stube starrt er den großen Mann, der »eigentlich dein Vater ist, in gewisser Weise« so hingerissen und voller Zuneigung an, daß Lars sich beinahe beklommen fühlt.
In den ersten Wochen folgt er Lars wie ein treuer kleiner Hund. Solfrid gerät ganz ins Hintertreffen. Sie hat schon immer viel Zeit auf Ås zugebracht, aber seitdem Nils-Jan dort wohnt, kommt sie tagtäglich. Sie ist nur noch zu den Mahlzeiten zu Hause, ja, oftmals ißt sie zu Mittag und zu Abend auf Ås, nachdem sie wie eine kleine Maus die paar hundert Meter nach Hause gerannt ist, um Bescheid zu sagen.
Auch sie findet es toll mit Lars, so daß sie ihm gerne mit Nils-Jan zusammen hinterhertrottet. Und Lars ist geduldig mit den Kindern und findig, wenn sie ihn bei der Arbeit begleiten. Wenn er etwas zu tun hat, wo er Armfreiheit braucht, gibt er ihnen kleine Aufgaben, um sie aus dem Weg zu halten, und er läßt sie nebeneinander auf dem Holz sitzen, während er selbst das Pferd am Zügel führt.
Ab und zu dürfen sie auf dem Pferderücken reiten. Solfrid jauchzt vor Freude, wenn sie aufihren Platz gehoben wird, sie hält sich am Kummet fest, während Nils-Jan hinter ihr sitzt und sich ängstlich an sie klammert. Am liebsten ist es ihm, wenn Lars mit stützendem Griff um sein eines Bein neben ihm geht.
Nils-Jan hat vor Pferden Angst und vor Kühen, sie sind ihm zu groß. Nils-Jan bewundert Solfrid, wenn sie unter dem Pferdebauch hindurchkriecht oder dem Pferd das weiche Maul klopft und es eine rohe Kartoffel von der flachen Hand fressen läßt. Er traut sich nicht, wie sie im Kuhstall durch den Futtergang zu gehen, wo die Kühe in ihren Verschlägen stehen, die Köpfe einander zugewandt, und ihr gutmütig mit dem Kopf an die Beine stupsen oder aus dem Armvoll Heu zupfen, das sie ihnen austeilt.
Er hat auch Angst vor dem Schwein und traut sich nur, ihm den Rücken zu kraulen, wenn er außerhalb des Kobens steht, darauf klettern, wie Solfrid, das macht er nie. Auch nicht auf den Verschlag für die Kälber, sogar wenn sie ganz neugeboren und unglaublich süß sind mit ihren traurigen Tieraugen und den nassen suchenden Mäulern. Es dauert lange, ehe sie ihn überreden kann, ihnen eine Hand ins Maul zu stecken und dieses merkwürdige Gefühl zu spüren, wenn sie saugen.
Aber nachdem Lars nach Hause gekommen ist, wird er auch mit den Tieren unbekümmerter. Er ist überall dabei und macht Lars alles
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