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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Skjelbred
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Alltäglichkeit gebracht. Jeden Tag hat sie uns ein kleines Stück mehr übergeben und gesagt: Schau hier, halt dich daran fest. Melk diese Kuh. Iß dein Essen, Ragnhild. Hier bringe ich Kaffee und Waffeln.
    Meine Mutter, von der ich mein Leben lang glaubte, sie eigne sich für wenig mehr als Tränen und Gram. Jetzt hält sie ihre Tränen zurück und trocknet unsere mit liebevoller Hand.
    Vater ist kaum eine Hilfe gewesen, der Ørmste. Er taugt so wenig zum Trauern. Seinem Mundharmonikaspiel zuzuhören hat aber gutgetan – die Melodien waren wehmütiger denn je.
    Heute nacht haben wir Vollmond, und es ist sternenklar. Sonderbar, hier in Mathildes Nachthemd zu sitzen und zu Jakobs Scheune hinüberzuschauen, wie sie es so viele Nächte lang getan haben wird. Viel öfter, als wir wußten.
    Hin und wieder, wenn Nils-Jan und ich über die Au nach Hause gingen, konnten wir sehen, wie sich die Gardine in ihrer Kammer bewegte, und dann vollführte Nils-Jan übermütige Sprünge,um sie zu foppen, während ich versuchte, ihn zurückzuhalten. Er konnte sich mächtig über Mathilde ärgern, über ihre »spitze Nase«, so nannte er das. Ich weiß aber, daß er sie sehr gern hatte. Und sie, die Ørmste, muß ihn schrecklich geliebt haben.
    So vieles zeigt sich jetzt, wo ich Bescheid weiß, auf andere Weise. Mathilde konnte uns im Spiel unterbrechen, Nils-Jans Gesicht mit der einen Hand von unten packen und zu sich drehen und ihn so lange und nachdenklich anstarren, daß er ganz verlegen wurde und versuchte, sein Gesicht wieder wegzudrehen. Dann ließ sie ihn los und strich ihm rasch über die Stirn, ehe sie mich in die Wange kniff oder an den Zöpfen zog und sich wieder ihren Angelegenheiten zuwandte.
    Jetzt, im nachhinein, habe ich begiffen, daß es damals anfing, an Lars' vierzigstem Geburtstag, als Nils-Jan von der Schaukel getroffen wurde. Er behielt davon eine Narbe über dem Auge. Eine kleine Vertiefung, über die ich tausendmal mit dem Finger gestrichen haben mag und die ich noch in den Fingerspitzen fühlen kann.

58
    Heute bist du zum ersten Mal draußen in der Sonne gewesen. Ich hatte mich darauf gefreut, dich mit hinausnehmen zu können, aber Ragnhild und Mutter waren dagegen, ich solle noch warten. In den letzten Tagen war die Luft kühl gewesen, obwohl wir schon weit im Juni sind.
    Heute morgen kam Inger mit ihren zwei kleinen Mädchen zu Besuch, und sie fand, es sei an der Zeit, daß du hinauskommst in die Sonne. Inger ist halt Inger. Sie schimpfte ordentlich, weil ich dir so viel angezogen habe. Wahrscheinlich bin ich viel zu ängstlich mit dir, Klein Jakob. Weder Ragnhild noch ich sind mit kleinen Kindern vertraut, Mutter auch nicht, sie hatte ja nur mich.
    Inger ist in Rønnigen mit allen ihren kleinen Geschwistern aufgewachsen und hat jetzt selbst zwei Kinder. Sie hielt uns auf ihre direkte Art eine gründliche Standpauke. Wir machten es uns am Tisch gemütlich mit Kaffee und Saft für ihre Mädchen – am Tisch unter dem prachtvollen alten Flieder, den es schon gab, ehe Mathilde geboren wurde. Er steht zur Zeit in voller Blüte, und in diesem Jahr ist er schöner, als ich ihn je gesehen habe.
    Nils-Jan und ich spielten oft Fangen rund um den Flieder, wir rannten immer rundherum, so nahe an den untersten, schweren Blütendolden,daß sie uns um die Wangen schlugen und uns mit ihrem schweren süßlichen Duft nach Frühsommer betäubten. Anschließend saßen wir erschöpft nebeneinander an dem großen steinernen Tisch und tranken Mathildes herrlichen Apfelsaft. Die Tischplatte ist ein alter Mühlstein, und im Sommer pflanzte Mathilde immer Stiefmütterchen in die kleine Aushöhlung in der Mitte. In diesem Jahr hat daran noch keiner gedacht, aber es ist ja noch nicht zu spät.
    Jetzt sprangen die beiden kleinen Mädchen unter den Blütendolden im Kreis, und jedesmal, wenn eine von beiden eine so rasche Kehrtwendung machte, daß die andere ihr geradewegs in die Arme lief und sie beide taumelten und ins Gras fielen, quietschten sie vor Vergnügen. Es ist wunderbar zu erleben, wie Kinder immer wieder zu den gleichen Spielen finden, die wir selbst einst spielten. Und wunderbar, sich vorzustellen, daß du es sein wirst, der in ein paar Jahren hier auf dem Hof herumspringen wird.
    Ingers Töchter sind sehr süß, aber unglaublich lebhaft. Ich überlege, ob du auch so wirst. Ich selbst bin als Kind ziemlich wild gewesen, dein Vater war allerdings zurückhaltend und vor Fremden unheimlich schüchtern.
    Nils-Jan hatte vor

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