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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Skjelbred
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halten, bis du dein Bäuerchen machtest, und dann bist du auf ihrem Arm eingeschlafen. Es sieht so aus, als hättest du das Lächeln, das du gerade gelernthast, mit in den Schlaf genommen, denn noch liegt eine Ahnung davon über deinen winzigen Gesichtszügen. Dein Lächeln, das dein Vater niemals sehen wird. Jetzt weine ich wieder.
    Stundenlang kann ich nachts so dasitzen und über die Jakobsau starren, während die Tränen auf mein Flanellnachthemd tropfen. Das Nachthemd, das wieder hier im Schrank lag, wie bei Mathilde. Sie nähte sie immer selbst, und zwar aus hellrotem Baumwollflanell, den sie beim Kaufmann Berg kaufte. Bestimmt waren sie die Jahre hindurch gleich, bis zum Boden und langärmelig mit einem schmalen weißen Spitzenbesatz als Schmuck am Halsausschnitt.
    Ich habe eine Erinnerung, daß ich mitten in der Nacht aufwache und Mathilde im Nachthemd sehe, den prachtvollen Zopf aufgelöst über eine Schulter hängend, beugt sie sich über das Bett, in dem ich zusammen mit deinem Vater schlafe. Ihre Hand berührt meine Wange, dann streift sie über Nils-Jans Stirn, der an meiner Seite fest schläft. Und an ihre Stimme, flüsternd und so anders als sonst, als ob ihr die Dunkelheit der Nacht eine träumerische, warme Vertraulichkeit verleihen würde: »Schlaf, mein Kleines, ich will euch nur zudecken, es ist nachts so kalt und ungemütlich.« Am Morgen dann glaubte ich sicher, ich hätte das geträumt, denn warum sollte Mathilde in der Nacht herumgeistern.
    Es ist so unglaublich, wenn ich mir vorstelle, daß sie hier gesessen hat, so wie jetzt ich, und ebenso traurig hinaus in die dunkle Nacht gestarrt hat. Ja, denn ich glaube, Mathilde hat zeit ihres Lebens um die Jugendliebe getrauert, von der wir nichts wußten, jedenfalls nicht wir Jungen. Vielleicht hat sie um ihn genauso heftig getrauert wie ich um Nils-Jan. Er war für sie ebenso weit fort wie dein Vater für mich, auch wenn er nicht gestorben ist. Und ebenso sicher ist, daß meiner Trauer der ganze Ort mit Anteilnahme folgt, während Mathildes Trauer vermutlich für die Leute immer etwas Absurdes hatte. So gnadenlos sind wir Menschen, so wenig begreifen wir.
    Wir haben nicht viel an Mathilde gedacht, Nils-Jan und ich, wenn wir im letzten Sommer eng umschlungen über die taunasse Au gingen, auch wenn wir hin und wieder überlegten, ob sie uns wohl von ihrem Kammerfenster aus sehen könnte. In unserem letzten Sommer, da waren die Nächte so hell und so warm, und bestimmt ist die Wiese nie schöner gewesen. In den letzten Jahren nach dem Tod des alten Jakob konnte sie in Ruhe stehen und in der ganzen Vielfalt der Blumen erblühen. Klee nickt mit dicken rosa Köpfchen, dicht an dicht mit weißem Leimkraut, gelben Butterblumen, Margeriten, Lichtnelken und, später im Sommer, einer Unmenge blauer Glockenblumen. Und die Gräser! Diese samtweichen roten Gräser,ich kann sie jederzeit an meinen Beinen spüren. Und zwischen alldem ein hellblauer Schimmer von den kleinen Vergißmeinnichtblüten.
    In diesem Jahr kann ich mich nicht über Jakobsau freuen, aber im letzten und im vorletzten, da waren die Wiese und der Sommer, unser Dorf und die ganze Welt schöner denn je. Beinahe jede Nacht trafen wir uns in der Scheune, und wir, die wir uns fast wie Bruder und Schwester unser Leben lang kannten, wir waren plötzlich füreinander vollkommen neu. Wir mußten uns ganz neu kennenlernen. Alles, was wir voneinander wußen, schien nicht mehr zu gelten. Er war nicht der kleine Junge, der Spielkamerad, mein Nils-Jan, wie ich ihn immer gekannt hatte; oder doch: das war er auch, aber er war noch viel mehr.
    Wir öffneten Türen, von denen wir beide nur geahnt hatten, daß es sie gab, und gingen zusammen, Schritt für Schritt, in eine Landschaft, von der wir uns so sicher waren, daß sie für den Rest des Lebens Bestand haben würde. Ach Nils-Jan, lieber, lieber Nils-Jan, wie konntest du mich alleine lassen!
    Ab und zu spüre ich die Einsamkeit als so riesig und die Leere, die er hinterlassen hat, als so unendlich, daß der Gedanke, weiterleben zu müssen, ein ganzes langes Leben, unerträglich wird. In solchen Phasen schimpft Mutter sanft, aber bestimmt mit mir, denn in diesen entsetzlichen Monatenist es merkwürdigerweise sie, die ihre Seelenruhe bewahrt hat.
    Von dem Tag im Winter an, als die Botschaft von seinem Tod kam und Ragnhilds und meine Welt in Stücke riß, hat Mutter wie ein Fels dagestanden und in das Gefühlschaos, das uns lähmte, Ruhe, Geborgenheit und

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