Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
verbindet.
    Als Javert die Situation soweit geklärt hatte und wußte, daß sein Opfer rechts in eine Sackgasse geraten, links auf den ausgestellten Posten stoßen mußte, bewilligte er sich eine Prise Tabak.
    Und jetzt begann er zu spielen. Das war für ihn ein höllischer und doch köstlicher Augenblick. Er ließ sein Opfer vor sich herlaufen, wußte, daß er es in Händen hielt, wollte aber den Augenblick der Verhaftung soweit als möglich hinausschieben. Er brauchte ja nur zuzupacken. An einen Widerstand des Verfolgten war in Anbetracht der Patrouille nicht zu denken, so energisch, stark und vom Mut der Verzweiflung beflügelt Jean Valjean auch sein mochte.
    Als aber Javert, der unterwegs alle Winkel der Gasse wie die Taschen eines Diebes durchsucht hatte, in die Mitte des ausgeworfenen Netzes kam, fand er die Fliege nicht. Man stelle sich seine Wut vor!
    Er fragte seinen Posten in der Rue Droit-Mur, aber der war, ohne sich zu rühren, an seinem Platze geblieben und hatte niemand vorbeikommen gesehen.
    Nun, gewiß hat Napoléon in Rußland, Alexander in Indien, Caesar in Afrika, Cyrus im Scythenlande Fehler begangen. Auch Javert durfte es tun. Wer ist vollkommen auf dieser Welt?
    Attila hat zwischen Orient und Okzident geschwankt, Hannibal in Capua die Entscheidungsstunde versäumt, Danton ist in Arcis-sur-Aube eingeschlafen.
    Wie dem auch sei, in dem Augenblick, als Javert begriff, daß Jean Valjean ihm entschlüpft sei, verlor er nicht den Kopf. Er wußte nur zu gut, daß der alte Sträfling nicht weit sein konnte, stellte daher Posten auf und organisierte die Überwachung des Quartiers. Das erste, was ihm auffiel, war das abgeschnittene Laternenseil. Das war ein wertvoller Fingerzeig, der ihn allerdings irreführte, weil er seine Aufmerksamkeit auf das Sackgäßchen Genrot ablenkte. Es gibt in dieser Sackgasse ziemlich niedrige Mauern, hinter denen Gärten liegen. Jean Valjean mochte sich dahin gewandt haben.
    Gewiß hätte Valjean, wäre er auch nur einen Augenblick früher in der Sackgasse gewesen, einen solchen Versuch unternommen und wäre verloren gewesen. Javert durchsuchte die Gärten so gründlich, daß er eine vermißte Stecknadel gefunden hätte.
    Bei Tagesanbruch ließ er zwei tüchtige Leute als Beobachter zurück und begab sich, zutiefst beschämt, von einem Verbrecher irregeführt worden zu sein, zur Präfektur.

Fünftes Buch
Die Friedhöfe nehmen, was man ihnen gibt
Wie man in ein Kloster kommt
    Jean Valjean begriff, daß er und Cosette verloren waren, wenn sie nach Paris zurückkehrten. Da ein glücklicher Wind ihn hierher verschlagen hatte, in diesem Kloster verborgen, durfte er nicht daran denken, es wieder zu verlassen. Für einen Unglücklichen in seiner Lage war dieses Kloster zugleich der gefährlichste und doch auch der sicherste Aufenthalt; der gefährlichste, denn kein Mann durfte hier eindringen, bei Gefahr, entdeckt und der Polizei ausgeliefert zu werden; der sicherste, denn hier würde man ihn gewiß nicht vermuten. Und wer sollte auch Eintritt erhalten, um ihn hier zu suchen? Sich an einem unmöglichen Ort aufhalten bedeutete das Heil.
    Auch Fauchelevent konnte in dieser Nacht keinen Schlaf finden. Viele Gedanken beschäftigten ihn. Das einzige, was er verstand, war, daß er nichts begriff. Wie konnte Herr Madeleine über diese Mauern gekommen sein? Man übersteigt solche Mauern nicht. Und ganz gewiß nicht mit einem Kind in den Armen! Und was war das für ein Kind? Woher kamen die beiden?
    Seit Fauchelevent im Kloster war, hatte er aus Montreuil sur Mer keine Nachrichten mehr erhalten. Vater Madeleine machte ein Gesicht, das einen Frager nicht gerade ermunterte, und überdies dachte sich Fauchelevent: Man soll die Heiligen nicht ausfragen. Aus einigen Worten, die Jean Valjean entschlüpft waren, glaubte der Gärtner entnehmen zu dürfen, Herr Madeleine sei vielleicht infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusammengebrochen und befinde sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Oder er habe sich in einer politischen Sache kompromittiert und wünsche sich darum zu verbergen. Und das gefiel Fauchelevent recht gut, da er, wie die meisten Bauern in Nordfrankreich, im Grunde seines Herzens Bonapartist war.
    Aber wie sollte er ihn hier im Kloster erhalten? Das war die Frage. Fauchelevent schreckte vor diesem schier wahnsinnigenUnterfangen nicht zurück; dieser arme picardische Bauer, den nur seine Ergebenheit, sein guter Wille und eine gewisse Bauernschlauheit

Weitere Kostenlose Bücher