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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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unterstützten, machte sich daran, die Schwierigkeiten zu überwinden, die ihm die strenge Regel des heiligen Benediktus in den Weg legte.
    Bei Tagesanbruch tat Vater Fauchelevent, der alles reiflich erwogen hatte, die Augen auf und sah Madeleine, der auf seinem Strohsack saß und die schlafende Cosette betrachtete. Auch Fauchelevent setzte sich auf und sagte:
    »Da Sie nun einmal hier sind, wie macht man es, daß Sie auch herauskommen?«
    Dieser Ausdruck kennzeichnete die ganze Situation und weckte Jean Valjean aus seiner Träumerei. Die beiden Männer begannen zu beraten.
    »Zunächst«, erklärte Fauchelevent, »dürfen Sie keinen Fuß aus diesem Zimmer setzen, weder Sie noch die Kleine. Ein Schritt in den Garten, und alles ist aufgeflogen.«
    »Sehr richtig.«
    »Sie sind allerdings in einem sehr guten, will sagen, in einem sehr schlechten Augenblick hierhergekommen, Vater Madeleine, denn eine der Damen ist gerade schwer krank. Folglich wird sich nicht so leicht jemand um uns kümmern. Allem Anschein nach stirbt sie gerade. Das vierzigstündige Gebet ist bereits angesagt. Die ganze Gemeinde ist in Aufregung. Also sind die Nonnen beschäftigt. Die Frau, um die es sich handelt, ist eine Heilige. Wir sind alle Heilige hier. Der einzige Unterschied ist, daß die Nonnen sagen: ›meine Zelle‹, während ich sage: ›meine Bude‹. Jetzt wird also das Gebet für die Sterbende gesprochen, und dann kommt das Totengebet und die Totenwache. Für heute haben wir Ruhe, aber für morgen kann ich nicht bürgen.«
    »Allerdings ist diese Baracke in einem Mauerwinkel eingebaut«, bemerkte Jean Valjean, »und hinter dieser Ruine und den Bäumen so gut verborgen, daß man sie vom Kloster aus gar nicht sieht.«
    »Wozu ich noch bemerken möchte, daß die Nonnen niemals hierherkommen.«
    »Also?«
    Dieses Fragezeichen schien zu bedeuten: demnach kann man ja hier sehr gut verborgen bleiben. Und darauf antwortete Fauchelevent:
    »Aber da sind die Kleinen zu bedenken.«
    »Welche Kleinen?«
    Als Fauchelevent den Mund auftat, um zu antworten, ließ sich ein Glockenschlag vernehmen.
    »Die Nonne ist tot. Das ist das Zeichen.«
    Noch einmal schlug die Glocke an.
    »Ja, das ist das Zeichen, Herr Madeleine. Und so wird die Glocke jede Minute anschlagen, vierundzwanzig Stunden lang, bis die Leiche aus der Kirche hinausgetragen wird. – Ja, sehen Sie, so stehts: bei der Rekreation, wenn die Kleinen Erholungsstunde haben, verstehen Sie, braucht nur ein Ball hierherzurollen, dann kommen die Kleinen alle trotz des strengen Verbots und treiben hier ihre Späße. Es sind die reinsten Teufel, diese Engelchen.«
    »Wovon sprechen Sie denn?«
    »Nun, von den Kleinen. Die werden Sie gleich entdecken. Dann gibt es ein großes Geschrei: Hallo, ein Mann! Heute allerdings besteht diese Gefahr nicht. Heute wird nur gebetet.«
    »Ich begreife, Vater Fauchelevent. Sie sprechen von Pensionärinnen.« Und Jean Valjean dachte: Das wäre ja eine Sache für Cosette!
    »Natürlich«, rief Fauchelevent, »Pensionärinnen! Und die würden hübsch um Sie herumspringen. Hier ein Mann zu sein ist schlimmer als die Pest bekommen. Sie sehen doch, daß man mir dieses Glöckchen umgebunden hat, als ob ich ein Vieh wäre.«
    Jean Valjean wurde immer nachdenklicher. Dieses Kloster, dachte er, wäre ein gutes Asyl.
    »Ja, es ist nur schwer, hierzubleiben«, sagte er laut.
    »Nein, die größte Schwierigkeit ist die, hinauszukommen.«
    Jean Valjean fühlte, wie ihm das Blut zum Herzen drang.
    »Hinaus?«
    »Ja, Herr Madeleine, denn um wieder hereinzukommen, müssen Sie doch erst mal draußen sein. Hier dürfen Sie sich nicht finden lassen. Für mich sind Sie vom Himmel gefallen, weil ich Sie kenne, aber diese Nonnen ziehen es vor, wenn man durch die Türe hereinkommt.«
    Plötzlich wurde ein längeres Glockenläuten hörbar.
    »Ach«, sagte Fauchelevent, »die Mütter werden ins Kapitel gerufen. Das Kapitel wird immer zusammenbestellt, wenn eine gestorben ist. Sie ist bei Tagesanbruch gestorben. Man stirbt meist um diese Zeit. Können Sie nicht eben dort hinausgehen, wo Siehereingekommen sind? Ich frage ja nicht, um Sie auszuhorchen, aber wie sind Sie nur hier hereingekommen?«
    Jean Valjean wurde blaß. Der bloße Gedanke, sich wieder in diese Straße hinauszuwagen, ließ ihn erschauern. Wenn man aus einem Wald, in dem es von Tigern wimmelt, entflohen ist, nimmt man nicht gern den Rat eines Freundes an, der uns wieder hineinschicken will. Jean Valjean stellte sich vor, daß

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