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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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die Polizei noch das ganze Quartier unter Aufsicht halte und überall Posten aufgestellt habe; von allen Seiten griffen Fäuste nach seinem Kragen, und Javert lauerte wohl in der Sackgasse.
    »Das ist ganz unmöglich«, sagte er. »Vater Fauchelevent, stellen Sie sich vor, daß ich vom Himmel gefallen bin.«
    »Natürlich glaube ich das. Sie brauchen mir so etwas gar nicht erst zu sagen. Der liebe Gott hat Sie in die Hand genommen, um Sie einmal aus der Nähe zu besehen, und dann hat er Sie wieder fallen lassen. Nur wollte er Sie in ein Männerkloster bringen und hat sich geirrt. Hören Sie, schon wieder ein Glockenzeichen! Das gilt dem Pförtner. Er soll die Behörden verständigen, daß der Totenbeschauer benachrichtigt wird. Das ist so das Zeremoniell des Sterbens. Die guten Frauen können diese ärztliche Visite nicht leiden. So ein Arzt ist gemeinhin ein Ungläubiger, will von allem den Schleier wegziehen. Manchmal kümmert er sich um Dinge, die ihn gar nichts angehen. Wie eilig sie es diesmal haben, nach dem Arzt zu schicken. Was das nur bedeutet? Ihre Kleine schläft noch immer. Wie heißt sie denn?«
    »Cosette.«
    »Ist sie Ihre Enkelin? Sind Sie der Großvater?«
    »Ja.«
    »Die können wir leicht hinauskriegen. Ich habe eine Tür, die in den Hof geht. Wenn ich da klopfe, öffnet mir der Pförtner. Ich habe meine Butte am Buckel, da stecke ich die Kleine vorher hinein, so trage ich sie hinaus. Papa Fauchelevent geht mit seiner Butte aus. Das ist nichts Besonderes. Wir sagen bloß der Kleinen, sie solle sich ruhig verhalten. Sie kann unter der Plane ganz gut versteckt bleiben. So bringe ich sie für die Zwischenzeit zu einer guten alten Freundin, einer Gemüsehändlerin in der Rue du Chemin-Vert, die taub ist und ein kleines Bett hat. Der schrei ich ins Ohr, daß dies eine Nichte von mir ist, und sie soll sie mir bis morgen gut aufheben. Dann kann die Kleine mit Ihnen zusammen wieder hereinkommen.Herein bring ich Sie schon wieder. Das muß ich wohl. Aber Sie, wie bringe ich Sie nur hinaus?«
    Jean Valjean schüttelte den Kopf.
    »Mich darf niemand sehen. So steht die Sache, Vater Fauchelevent. Suchen Sie mich auch wie Cosette in der Butte und unter der Plane hinauszuschmuggeln.«
    Fauchelevent kratzte sich mit dem Mittelfinger hinterm Ohr, was bei ihm höchste Verlegenheit bedeutete.
    Wieder gab die Glocke ein Zeichen.
    »Der Totenbeschauer geht wieder. Er hat gesagt: sie ist tot, ausgezeichnet. Wenn der Arzt den Paß nach dem Paradies visiert hat, senden die Leichenbestattungsanstalten eine Bahre. Wenn die Tote eine Mutter war, wird sie von den anderen Müttern in den Sarg gelegt, war sie eine Schwester, von den Schwestern. Dann komme ich und nagle den Sarg zu. Das gehört auch zu meinen Gärtnerpflichten. Ein Gärtner ist immer auch ein wenig Totengräber. Dann kommt die Leiche in den niedrigen Saal in der Kirche, der eine Verbindungstür zur Straße hat. Nur der Totenarzt darf da hereinkommen. Mich und den Leichenträger rechnen sie nämlich nicht zu den Männern. In diesem Saal vernagle ich den Sarg. Dann holen ihn die Totengräber ab, und hü, Kutscher! schon geht die Fahrt in den Himmel. Kurz, man bringt eine Schachtel hierher, in der nichts ist, und trägt eine volle wieder hinaus. Das ist das Leichenbegängnis. De profundis!«
    Ein Sonnenstrahl glitt über Cosettes schlafendes Antlitz. Sie hielt den Mund halb offen und glich einem Engel, der Licht bringt. Jean Valjean hatte sich wieder ihr zugewandt und hörte nicht mehr auf Fauchelevent.
    Aber daß einem niemand zuhört, muß kein Grund sein zu schweigen. Der wackere Gärtner setzte gemächlich seine Ausführungen fort.
    »Begraben wird sie auf dem Friedhof Vaugirard. Angeblich soll er aufgelassen werden, dieser Friedhof. Er ist schon sehr alt und widerspricht den jetzigen Reglements. Er hat keine Uniform mehr und soll pensioniert werden. Schade, er war so bequem. Ich habe dort einen Freund, den Totengräber, Papa Mestienne. Die Nonnen von hier haben das Privileg, bei Einbruch der Nacht auf den Friedhof hinausgebracht zu werden. Es gibt eine Sonderverordnung der Präfektur für sie. Was alles seit gestern abend passiert ist! Mutter Crucifixion ist tot und Vater Madeleine …«
    »Begraben«, sagte Jean Valjean traurig lächelnd.
    »Weiß Gott, wenn Sie wirklich ganz hier wären, könnte das einem Grab ziemlich ähnlich werden«, meinte Fauchelevent.
    Zum viertenmal läutete die Glocke. Fauchelevent nahm seinen Glockenriemen von der Wand und band ihn

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