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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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vor ihm öffnete und sofort wieder schloß.
    Als Marius am selben Abend nach Hause kam, warf er einen Blick auf seine Kleider und bemerkte zum erstenmal, daß es höchst unpassend, ja sogar unerhört blöde sei, in diesem Alltagsaufzug zum Luxembourg zu gehen; mit einem zerbeulten Hut, plumpen Kutscherstiefeln, an den Knien blankgescheuerten Hosen und einem Rock, durch dessen Ärmel die Ellenbogen durchschauten.
Beginn einer schweren Krankheit
    Am nächsten Morgen entnahm Marius zur gewohnten Stunde seinem Schrank den neuen Rock, die neue Hose, den neuen Hut und die neuen Stiefel; dann kleidete er sich in diese vollendete Tracht, zog, um den Luxus vollkommen zu machen, Handschuhe an und spazierte in den Luxembourg-Garten.
    Unterwegs begegnete er Courfeyrac und tat, als ob er ihn nicht sähe. Zu Hause erzählte Courfeyrac seinen Freunden:
    »Soeben begegnete ich Marius’ neuem Rock und Hut; Marius war drin. Offenbar ging er zum Examen. Er sah furchtbar dumm aus.«
    Im Luxembourg angekommen, ging Marius zunächst um das Bassin herum und beobachtete die Schwäne; lange Zeit blieb er betrachtend vor einer Statue stehen, deren Kopf vom Moose geschwärzt und deren eine Hüfte ausgebrochen war. Endlich, nach einem neuen Rundgang um das Bassin, wandte er sich zu seiner Allee, langsam und fast widerstrebend. Es sah aus, als ob er gleichzeitig gezwungen und behindert sei, dahin zu gehen. Aber er legte sich nicht darüber Rechenschaft ab und glaubte nichts anderes zu tun, als was er alle Tage tat.
    Als er in seine Allee einbog, gewahrte er sofort am anderen Ende »auf ihrer Bank« Herrn Leblanc und das junge Mädchen. Er knöpfte seinen Rock bis oben zu, zog ihn über seinem Körper straff, damit er keine Falten bilde, prüfte mit einem gewissen Wohlgefallen den Spiegel seiner Hosen und ging dann auf die Bank zu. In der Art, wie er auf sie zuschritt, lag etwas von Eroberertum. Er marschierte, möchte ich sagen, auf diese Bank zu, wie Hannibal auf Rom.
    Im übrigen vollzog sich alles ganz mechanisch, es waren die gewöhnlichen Gedanken, die ihn beschäftigten. Er dachte in diesem Augenblick an das »Handbuch zur Erlangung des Baccalaureats« und kam zu dem Schluß, es sei dumm und offenbar von seltenen Idioten redigiert worden, da es zwar drei Tragödien des Racine, aber nur eine Komödie des Molière ausführlich behandelte. In den Ohren hatte er ein eigentümliches Pfeifen. Als er der Bank näher kam, zupfte er noch einmal seinen Rock zurecht, und seine Blicke richteten sich auf das junge Mädchen. Er hatte den Eindruck, als ob dieser ganze Teil der Allee in ein seltsam bläuliches Licht getaucht sei.
    Je näher er kam, um so langsamer wurde sein Gang. Als er nur mehr ein wenig von der Bank entfernt war, bei weitem noch nicht am Ende der Allee, blieb er stehen, und er wußte selbst nicht wie, aber plötzlich machte er kehrt. Ihm wurde nicht einmal bewußt, daß er nicht bis an das Ende der Allee gelangt war. Kaum hatte ihn das junge Mädchen bemerkt und seine neuen Kleider erkennen können. Doch ging er sehr aufrecht, um eine gute Figur zu machen, falls zufällig jemand hinter ihm gehe und ihn beobachte.
Ein Blitzschlag trifft Frau Bougon
    Am nächsten Tage bemerkte die Keif-Alte (Mame Bougon, wie der Spötter Courfeyrac Marius’ Wirtin nannte, obwohl sie eigentlich Frau Burgon hieß), daß Herr Marius wieder in seinen Feiertagskleidern ausging.
    Sie war verwundert.
    Er ging in den Luxembourg, wagte sich aber nicht weiter als bis zur Hälfte seiner Allee. Dort setzte er sich auf eine Bank und beobachtete aus der Ferne den weißen Hut, das schwarze Kleid undinsbesondere den blauen Lichtschimmer. Er rührte sich nicht, ging nicht einmal, als die Tore des Luxembourg verschlossen wurden. Als Herr Leblanc mit seiner Tochter aufbrach, bemerkte er nichts. Später kam er zu der Ansicht, die beiden müßten wohl durch das Tor an der Rue de l’Ouest den Park verlassen haben. Noch Wochen nachher konnte er sich nicht erinnern, wo er an jenem Abend gesessen hatte. Und auch am nächsten, dem dritten Tag, war Mame Bougon wie vom Blitzschlag getroffen. Wieder ging Marius in seinen Feiertagskleidern aus.
    »Dreimal nacheinander!« rief sie entsetzt. Sie wollte ihm folgen; aber Marius ging so schnell und mit großen Schritten, es war, als ob ein Nilpferd einer Gemse nachlaufen wollte. Nach zwei Minuten hatte sie ihn aus den Augen verloren und kam, ganz außer Atem und wütend, nach Hause.
    »Ob das nun einen Sinn hat«, murrte sie,

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