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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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fortzusetzen.«
    Dieser Unterschrift war keine Adresse beigefügt. Marius hoffte, sie immerhin noch in dem zweiten Brief zu finden, der an die Frau Gräfin de Montvernet, Rue Cassette Nr. 9, gerichtet war. Marius las folgendes:
    »Frau Gräfin,
es handelt sich um eine unglückliche Familienmutter von sechs Kindern, deren letztes erst acht Monate alt ist. Und dabei ich selber krank seit meiner letzten Niederkunft, seit fünf Monaten verlassen von meinem Mann, ohne Hilfe in schrecklicher Not.
    In der Hoffnung auf die Frau Gräfin habe ich die Ehre, zu sein Ihre respektvollste
    Frau Balizard.«
    Jetzt las Marius den dritten Brief, der wie die andern eine Bittschrift enthielt:»Herrn Pabourgeot, Wähler, Strumpfwaren en gros, Rue Saint-Denis, Ecke Rue aux Fers.
    Ich erlaube mir diesen Brief an Sie zu richten, um die Gunst Ihrer Simpatie und Ihr Interesse zu gewinnen für einen Schriftsteller, der eben ein Drama beim Théâtre Français eingereicht hat. Der Stoff davon ist historisch, und die Handlung spielt im Auvergne in der Kaiserzeit. Der Stil ist, glaube ich, natürlich, lakonisch, sehr verdienstvoll. An vier Stellen gibt es Sachen zum Singen. Komisches, Ernstes und Unvorhergesehenes mischen sich mit der Verschiedenheit der Charaktere, und die ganze Intrige, die recht misteriös vor sich geht, ist leicht romantisch, so daß durch verblüffende Überraschungen in effektvollen Szenen der Schluß herbeigeführt wird.
    Mein besonderes Ziel ist, dem Bedürfnis der jetzigen Menschen nach der Art unseres Jahrhunderts zu dienen, also der Mode zu folgen, dieser launischen Wetterfahne, die sich immer nach jedem Wind dreht.
    Trotz dieser Vorzüge habe ich Grund zu fürchten, daß die Eifersucht und der Egoismus der privilegierten Schriftsteller mir den Weg zum Theater verschließt, denn ich weiß, wie schwer man es den neuen Autoren macht.
    Herr Pabourgeot, Ihr verdienter Ruf als Gönner der Lideraten macht mich so kühn, Ihnen meine Tochter zu schicken, die Ihnen unsere schwierige Situation erklären wird, denn es fehlt an Brot und Feuer, trotz Winter. Sie soll Ihnen sagen, daß Sie die Ehre annehmen sollen, mein Drama von mir gewidmet zu bekommen, und auch alle andern, die ich noch machen werde, und das wird Ihnen beweisen, wieviel ich von der Ehre halte, unter Ihrer Beschützung herauszukommen und meine Schriften mit Ihrem Namen zu zieren. Wenn Sie mich nur mit einer kleinen Unterstützung begünstigen wollen, werde ich auch ein Stück in Reimen schreiben, um Ihnen zu zeigen, wie dankbar ich bin. Es soll so schön wie möglich werden, und ich werde es Ihnen zuschicken, bevor es in Szene geht.
    Herrn und Frau Pabourgeot ergebenster
    Genflot, Schriftsteller.
    P. S. Und wenn es auch nur vierzig Sous sind. Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen meine Tochter schicke und mich nicht selbst vorstelle, aber ach, meine schlechten Toilettezustände erlauben es mir nicht.«Endlich öffnete Marius noch den vierten Brief. Er war an den wohltätigen Herrn aus der Kirche Saint-Jacques du Haut-Pas gerichtet.
    »Wohltätiger Mann, wenn Sie meine Tochter begleiten wollen, werden Sie ein furchtbares Elend sehen, und ich zeige Ihnen auch meine Zeugnisse. Beim Anblick dieser Zeilen wird Ihre großmütige Seele wohlwollend gestimmt werden, denn die wahren Filosofen sind immer weichherzig. Geben Sie zu, mitleidiger Mann, daß man in gräßlicher Not sein muß und daß es peinlich ist, eine Unterstützung zu erbitten und sich von Amts wegen bestätigen zu lassen, daß man nichts hat, als ob es nicht jedermanns Recht wäre, zu leiden und zu hungern, bis einer uns hilft. Das Schicksal ist für manche sehr verschwenderisch und für die andern recht fatal.
    Ich erwarte Ihren Besuch oder Ihre milde Gabe, wenn Sie mir eine geben wollen, indem ich Sie bitte, meiner Hochachtung versichert zu sein, Ihr ergebener Diener
    P. Favantou,
    dramatischer Schauspieler.«
    Nachdem Marius diese vier Briefe gelesen hatte, wußte er nicht viel mehr als zu Anfang. Keiner dieser Absender nannte seine Adresse. Und wenn deren auch viere genannt waren, ein Don Alvarez, eine Frau Balizard, ein Dichter Genflot und ein Schauspieler Favantou, war doch allen ein gemeinsamer schlechter Stil und die gleiche Handschrift eigen. Mußte man daraus nicht schließen, daß sie von einer einzigen Person herrührten?
    Noch dazu waren alle auf demselben groben, gelblichen Papier geschrieben, rochen gleicherweise nach Tabak, und obwohl der Stil offensichtlich verschieden sein sollte, hatte sich

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