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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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buchstäblich verschwunden? Oder stand er in einem geheimen Einverständnis mit den Agenten? War dieser sonderbare Mensch zugleich ein Geheimnis der Ordnung und der Unordnung? Hatte diese Sphinx ihre Hände sowohl in den Intrigen der Verbrecher wie in den Machenschaften der Behörde? Javert ließ sich nie auf solche Dinge ein, ihm war jeder Kompromiß unmöglich. Aber unter den Leuten, die er befehligte, befanden sich auch einige Inspektoren, die, mochten sie auch seine Untergebenen sein, vielleicht tiefer in die Geheimnisse der Präfektur eingedrungen waren als er; und dieser Claquesous war ein solcher Schuft, daß er immerhin einen guten Spitzel abgeben konnte. Wie dem auch sei, der Mann war nicht mehr aufzufinden. Javert war darüber weniger empört als verwundert.
    Was Marius betraf, so interessierte er die Polizei wenig.
    So begann die Untersuchung.
    Der Untersuchungsrichter hatte es für zweckmäßig befunden, einen der Leute der Bande Patron-Minette nicht in die Einzelzelle bringen zu lassen, wohl in der Hoffnung, daß er etwas ausplaudern würde. Diese Wahl fiel auf Brujon, den Wuschelkopf aus der Rue du Petit-Banquier. Man hatte ihn in den Hof Charlemagne gebracht, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Er war ein junger, sehr geschickter Kerl, der gerne eine jämmerliche und alberne Miene aufsetzte. Dieser Trick hatte auch den Untersuchungsrichter getäuscht, der ihn darum vor der Einzelzelle bewahrte.
    Die berufsmäßigen Verbrecher stellen ihre Tätigkeit auch nicht ein, wenn sie sich in den Händen der Justiz befinden. Eine solcheKleinigkeit stört sie nicht. Wegen eines Dings zu sitzen, hindert keinen, ein anderes zu drehen.
    Brujon schien die Haft schlecht zu ertragen. Oft stand er stundenlang im Hofe Charlemagne an der Luke der Kantine und starrte idiotisch auf die Preistafel, die mit »Knoblauch … zweiundsechzig Centimes« begann und mit »Zigarren … fünf Centimes« endete. Oder er verbrachte seine Zeit damit, zu zittern oder mit den Zähnen zu klappern, über Fieber zu klagen und sich zu erkundigen, ob nicht eines der achtundzwanzig Betten des Krankensaals frei wäre.
    Plötzlich wurde bekannt – das war in der zweiten Hälfte des Monats Februar 1832 –, daß dieser verschlagene Brujon unter dem Namen von drei Kameraden Dienstmänner nach verschiedenen Stadtgemeinden entsandt hatte; er hatte sich diesen Luxus fünfzig Sous kosten lassen, und dieser Umstand machte den Oberaufseher neugierig.
    Man erkundigte sich und erfuhr, daß die fünfzig Sous folgendermaßen verausgabt waren; zehn für einen Gang nach dem Panthéon, fünfzehn für einen nach dem Val-de-Grâce, fünfundzwanzig schließlich für einen nach dem Tor von Grenelle. Nun befanden sich an diesen drei Orten die Wohnsitze von drei berüchtigten Banditen, Kruideniers, genannt Bizarro, Glorieux und Barre-Carrosse. Man kam auf den Gedanken, diese Leute könnten mit der Bande Patron-Minette in Verbindung stehen, von der man ja zwei Führer, Babet und Gueulemer, hinter Schloß und Riegel hatte. Offenbar hatte Brujon ihnen Tips für irgendwelche neue Verbrechen gegeben. Die drei wurden verhaftet, und man glaubte, irgendeinen Plan Brujons vereitelt zu haben.
    Eine Woche später traf es sich, daß ein Wärter, der gerade nachts die Runde machte, Brujon in seinem Bette sitzend und schreibend fand. Brujon kam auf einen Monat in die Einzelzelle, aber das Geschriebene war nicht zu finden. Die Polizei war so klug wie zuvor.
    Fest steht aber, daß am nächsten Tage ein Kassiber aus dem Hof Charlemagne in die »Löwengrube«, einen anderen Hof des gleichen Gefängnisses, flog, über ein fünf Stock hohes Gebäude hinweg.
    Dieser Kassiber gelangte an seine Adresse, obwohl der Mann, an den er gerichtet war, sich augenblicklich in Einzelhaft befand. Und das war niemand anders als Babet, einer der vier Führer der Bande Patron-Minette.
    Der Kassiber lautete:
    »Babet, in der Rue Plumet ist etwas zu drehen. Ein Garten und ein Gitter.«
    Das war der Zettel, den Brujon damals in der Nacht geschrieben hatte.
    Trotz aller scharfen Beobachtung fand Babet ein Mittel, dieses Schreiben nach der Salpêtrière gelangen zu lassen, an eine gute Freundin, die gerade dort logierte. Die übergab es einer anderen Bekannten, einer gewissen Magnon, die schon lange die Aufmerksamkeit der Polizei erregt hatte, aber noch nicht verhaftet worden war. Magnon stand mit den Thénardiers in intimer Verbindung, und wir werden darüber bei passender Gelegenheit noch zu sprechen haben;

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