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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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war entkommen. Dann hatte Javert auf den verabredeten Schuß gewartet. Er sah den Wagen abfahren und wiederkommen und begriff, daß alles im Gange war. Schließlich war er ungeduldig geworden, überzeugt, daß er hier einen guten Fang tun werde, und hatte sich entschlossen, nicht länger auf den Schuß zu warten.
    Der Leser erinnert sich, daß er Marius’ Hausschlüssel hatte.
    So war er gerade rechtzeitig gekommen.
    Die Banditen stürzten zu den Waffen. In der nächsten Sekunde standen sie, mit allerlei Werkzeugen bewaffnet, abwehrbereit da. Die Thénardier ergriff einen Pflasterstein, der sonst einer ihrer Töchter als Schemel diente.
    Javert setzte seinen Hut auf, kreuzte die Arme und sagte ruhig:
    »Halt! Ihr geht nicht durch das Fenster, sondern durch die Tür. Das ist viel bequemer. Ihr seid sieben, wir sind fünfzehn. Also wollen wir uns nicht herumprügeln wie dumme Bauern. Sind wir vernünftig?«
    Bigrenaille holte unter seiner blauen Bluse eine Pistole hervor und schob sie Thénardier zu.
    »Das ist Javert. Auf den kann ich nicht schießen. Getraust du dich’s?«
    »Den Teufel auch!«
    »Gut, schieß!«
    Thénardier zielte auf Javert.
    Der sah ihn ruhig an und sagte:
    »Bemüh dich nicht, dein Schuß geht nicht los.«
    Thénardier drückte ab – der Schuß versagte.
    »Hab’ ich dir’s nicht gesagt?« fragte Javert.
    Bigrenaille warf seinen Prügel Javert zu Füßen.
    »Du bist ja der Erzteufel! Ich ergebe mich.«
    »Und ihr?« fragte Javert die andern.
    »Wir auch.«
    »Gut, ich sagte ja, ihr sollt vernünftig sein.«
    »Ich bitte nur um einen Vorzug«, sagte Bigrenaille, »Raucherlaubnis im Gefängnis.«
    »Bewilligt«, entschied Javert. Dann wandte er sich um:
    »Vorwärts, ihr!«
    Ein Schwarm Polizisten drang in die Stube ein.
    »Handschellen für alle!« rief Javert.
    »Kommt doch her!« schrie eine Stimme, die nicht einem Mann gehörte, aber von der niemand hätte behaupten können, daß es eine Frauenstimme war.
    Die Thénardier hatte sich in den Fensterwinkel zurückgezogen. Die Polizisten fuhren zurück. Sie hatte ihren Schal abgeworfen; den Hut hatte sie noch auf dem Kopf. Sie hielt den Pflasterstein mit beiden Händen erhoben und sah aus wie eine Riesin, die einen Felsblock schleudern will.
    »Zurück!« brüllte sie.
    Dann warf sie den Banditen, die sich hatten fesseln lassen, einen verächtlichen Blick zu und murmelte heiser:
    »Feiglinge!«
    Javert lächelte und trat vor.
    »Komm mir nicht näher«, schrie sie, »oder ich schlage dir den Schädel ein!«
    »Welch ein Grenadier!« lachte Javert. »Mamachen, du hast einen Bart wie ein Mann, aber ich habe Krallen wie ein Weib.«
    Und er trat näher. Die Thénardier spreizte die Beine, bog den Körper zurück und schleuderte den Pflasterstein mit voller Kraft nach Javert. Der Inspektor bückte sich. Der Stein schlug über ihn hinweg gegen die Wand und prallte zurück. Schon hatte Javert die beiden gefaßt. Seine Rechte lag auf der Schulter der Frau, die Linke auf dem Kopf des Mannes.
    »Handfesseln!«
    Einige Sekunden später war sein Befehl vollstreckt. Die Thénardier starrte wie vernichtet auf ihre und ihres Mannes gefesselte Hände, warf sich zu Boden und jammerte:
    »Meine Töchter!«
    »Für die habe ich schon gesorgt«, beruhigte sie Javert.
    Inzwischen hatten die Polizisten den Besoffenen wach bekommen. Er erhob sich schwerfällig.
    »Ist alles vorbei, Jondrette?«
    »Ja«, antwortete Javert.
    Dann wandte er sich zu den Banditen; drei hatten geschwärzte Gesichter, drei waren maskiert.
    »Behaltet eure Masken auf«, befahl er.
    Dann schritt er die Reihe ab, wie Friedrich II. auf einer Potsdamer Parade seine Grenadiere.
    »Tag, Bigrenaille«, sagte er. »Tag, Brujon. Tag, Deux-Milliards, Tag auch, Gueulemer, Babet und Claquesous!«
    Jetzt bemerkte er den Gefangenen der Banditen, der seit dem Erscheinen der Polizisten kein Wort gesprochen und gebückten Hauptes dagestanden hatte.
    »Bindet den Herrn los«, befahl Javert, »niemand darf hinaus.«
    Dann setzte er sich an den Tisch, auf dem Kerze und Schreibzeug noch bereitstanden, zog ein Stempelpapier aus der Tasche und begann sein Protokoll niederzuschreiben.
    Nachdem er einige Zeilen zu Papier gebracht hatte, offenbar die einleitenden Formen, blickte er auf.
    »Der Herr, der gebunden war, mag näher treten.«
    Die Agenten blickten um sich.
    »Na, vorwärts, wo ist er denn?«
    Herr Leblanc oder Urbain Fabre war verschwunden.
    Man hatte die Türe bewacht, aber nicht das Fenster. Sobald

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