Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
andern.
    »Hier ist es«, flüsterte einer.
    »Ist ein Hund im Garten?«
    »Ich weiß nicht. Jedenfalls habe ich eine Boulette mitgebracht, die wir ihm anbieten können.«
    »Hast du Kitt, damit wir das Fenster eindrücken können?«
    »Ja.«
    »Das Gitter ist alt«, sagte einer mit einer Bauchrednerstimme.
    »Um so besser. Es wird nicht schreien, wenn man es durchsägt.«
    Der sechste hatte bis jetzt den Mund noch nicht aufgetan. Er prüfte das Gitter, rüttelte an allen Stäben und gelangte schließlich zu jener Stange, die Marius gelockert hatte. In diesem Augenblick griff eine Hand aus dem Dunkel nach seinem Arm, und eine Stimme sagte heiser:
    »Vorsicht, Hund!«
    Der Mann sah ein blasses Mädchen vor sich stehen.
    Er fuhr zurück.
    »Wer ist denn das?« stotterte er.
    »Deine Tochter.«
    Es war Eponine, die mit Thénardier sprach.
    Jetzt kamen auch Claquesous, Gueulemer, Babet, Montparnasse und Brujon leise näher. Jeder hatte irgendein Gerät in der Hand.
    »Was soll denn das bedeuten? Was hast du denn hier zu suchen? Bist du verrückt?« fuhr Thénardier seine Tochter so laut an, als man flüstern konnte. »Warum störst du uns bei der Arbeit?«
    Eponine lachte und legte ihm den Arm um den Hals.
    »Ich bin da, weil ich da bin, Papachen. Darf ich vielleicht nicht auf einem Stein sitzen? Ihr solltet nicht hier sein, denn ich habe euch doch gesagt: das hier ist Zwieback! Magnon hat es euch bestellt. Aber küß mich doch, Papachen, wir haben uns ja so lange nicht gesehen! Du bist also frei?«
    Thénardier suchte sich aus ihren Armen zu befreien und murmelte:
    »Gut, geküßt hast du mich ja schon. Ja, ich bin frei. Jetzt pack dich fort.«
    Aber Eponine wurde zärtlicher.
    »Wie bist du denn nur losgekommen?« fragte sie, »du mußt ja ordentlich schlau sein, daß du da ausgerückt bist. Und die Mutter? Wo ist denn Mama? Erzähl mir, wie es Mama geht.«
    »Gut. Ich weiß nicht. Laß mich in Ruhe und scher dich fort.«
    »Ich will aber jetzt nicht gehen«, schmollte Eponine wie ein verzogenes Kind. »Du schickst mich fort, jetzt, wo ich dich nach vier Monaten wiedersehe und nach Herzenslust küssen kann!«
    Wieder fiel sie ihm um den Hals.
    »Das ist mir denn doch zu blöd!« schimpfte Babet.
    »Macht rasch!« verlangte Gueulemer, »die Polente kann gleich vorüberkommen!«
    Eponine wandte sich um.
    »Ach, Herr Brujon! Und auch Sie, Herr Babet! Guten Tag, Herr Claquesous! Erkennen Sie mich denn nicht mehr, Herr Gueulemer? Wie geht’s, Montparnasse?«
    »Doch, sie erkennen dich«, sagte Thénardier, »aber jetzt guten Abend, fort mit dir! Laß uns in Ruhe!«
    »Das ist eine Stunde für die Füchse, nicht für die Hühner«, sagte Montparnasse.
    »Du siehst doch, daß wir hier ein Ding drehen wollen!«
    Eponine griff nach Montparnasses Hand.
    »Vorsicht, du wirst dich schneiden«, sagte er, »ich halte ein offenes Messer.«
    »Mein lieber, kleiner Montparnasse«, sagte Eponine sanft, »irgendeinem muß man schließlich auch trauen. Ich bin doch die Tochter meines Vaters. Sie haben mich beauftragt, diese Sache auszuforschen, Herr Gueulemer.«
    Eponine scheute den Argotausdruck. Seit sie Marius kannte, mied sie die Sprache der Verbrecherwelt.
    Sie drückte Gueulemers Hand.
    »Sie wissen, daß ich nicht dumm bin. Sonst hat man mir immer geglaubt. Ich habe Ihnen manchen Dienst erwiesen. Hier im Hause weiß ich Bescheid, Sie bringen sich nur unnütz in Gefahr. Nichts zu holen.«
    »Es sind nur Weiber drin!«
    »Nein, die Leute sind ausgezogen.«
    »Aber die Kerzen haben sie brennen lassen«, antwortete Babet und deutete auf ein Licht in der Mansarde. Toussaint war noch nicht zu Bett gegangen.
    »Das sind die neuen, ganz arme Leute. Keinen Sous im Haus.«
    »Geh zum Teufel!« sagte Thénardier. »Wenn wir das Haus durchsucht haben, vom Keller bis zum Boden, werden wir dir sagen, ob es was darin gegeben hat oder nicht.«
    Er stieß sie zur Seite.
    »Herr Montparnasse!« rief Eponine, »ich bitte Sie, seien Sie nett, gehen Sie nicht da hinein.«
    »Jetzt scher dich zum Teufel, Biest!« schrie Thénardier, »wir Männer haben hier zu tun.«
    Eponine gab Montparnasses Hand frei und sagte:
    »Ihr wollt also unbedingt in dieses Haus?«
    »Ein wenig«, antwortete der Bauchredner höhnisch.
    Jetzt lehnte sie sich an das Gitter, sah den sechs bis an die Zähne bewaffneten Banditen, die in der Finsternis wie Teufel aussahen, ruhig ins Gesicht und sagte leise, aber fest:
    »Gut, und ich will, daß ihr nicht hineingeht.«
    Alle

Weitere Kostenlose Bücher