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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Der rauhe, mürrische Jean Valjean aber bezahlte hinter dem Rücken der Mutter die Schuld, und so kamen die Kinder ungestraft davon.
    In der Saison verdiente er als Baumscherer achtzehn Sous täglich; später nahm er Dienst als Melker, Handlanger, Hirt. Er tat, was er konnte. Auch seine Schwester rackerte sich ab, aber die sieben Kinder ließen ihr wenig Zeit.
    Es geschah, daß ein Winter streng war. Da fand Jean keine Beschäftigung. Es fehlte der Familie an Brot, buchstäblich. Der Familie mit ihren sieben Kindern.
    Eines Sonntags am Abend wollte Maubert Isabeau, Bäcker am Kirchplatz zu Faverolles, eben zu Bett gehen, als er von dem Schaufenster seines Ladens herauf heftigen Lärm hörte. Er kam gerade recht, um einen Arm zu sehen, der durch ein Loch eingedrungen war, das eben erst mit der Faust in die Glasscheibe geschlagen worden war; eine Hand ergriff ein Brot und zog es heraus. Isabeaueilte hinaus. Der Dieb rannte, was seine Beine hergaben; aber Isabeau bekam ihn zu fassen. Zwar hatte der Dieb das Brot fortgeworfen, aber sein Arm war noch blutig und zerschunden. Es war Jean Valjean.
    Dies trug sich Anno 1795 zu. Jean Valjean wurde vor Gericht gestellt, weil er »des Nachts in ein bewohntes Haus eingebrochen wäre«. Er besaß ein Gewehr, das er sehr wohl zu handhaben verstand, denn er war auch ein wenig Wilddieb; das belastete ihn. Wie der Schmuggler, wird auch der Wilddieb gern als eine Art Räuber angesehen. Doch, wir müssen es nebenbei erwähnen, besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen diesen Leuten und den scheußlichen Mördern, die die Städte bevölkern. Der Wilddieb lebt im Wald, der Schmuggler im Gebirge oder auf dem Meer. Die Städte machen den Menschen grausam und erzeugen Verderbnis, das Gebirge aber, das Meer, der Wald bringen wilde, menschenscheue Leute hervor, sie entwickeln den rauhen Charakter, ertöten aber nicht alle Menschlichkeit.
    Jean Valjean wurde schuldig gesprochen. Der Wortlaut des Gesetzes war klar. Es gibt in unserer Zivilisation furchtbare Augenblicke – jene Momente, da der Schiffbruch eines Menschen durch die Justiz feierlich verkündet wird. Wie düster ist die Minute, in der die Gesellschaft sich von einem Menschen abwendet und ein denkendes Wesen unwiderruflich und für immer aus ihrer Mitte verstößt!
    Jean Valjean wurde zu fünf Jahren Arbeit auf den Galeeren verurteilt.
    Am 22. April 1796 wurde in Paris ein Sieg ausgerufen, den der Oberkommandierende der Armeen in Italien bei Montenotte errungen hatte, jener General, den die Botschaft des Direktoriums an den Rat der Fünfhundert vom 2. Floreal des Jahres IV Buonaparte nennt; am selben Tage wurden in Bicêtre eine Reihe von Strafgefangenen an die Kette gelegt. Auch Jean Valjean wurde ein Glied dieser Kette. Ein alter Schließer jenes Gefängnisses, der heute neunzig Jahre zählt, erinnert sich noch jenes Unglücklichen, der damals in der Nordecke des Hofes an das Ende der vierten Kette geschmiedet wurde. Wie die andern, hatte er sich auf den Boden gesetzt. Offenbar begriff er nicht, was mit ihm vorging, empfand nur, daß es etwas Schreckliches war. Vielleicht, wahrscheinlich sogar, rang sich unter den verschiedenen Gedanken, die diesenunwissenden Menschen peinigten, einer allmählich durch. Während hinter seinem Kopf mit schweren Hammerschlägen sein Halseisen zugeschlagen wurde, weinte er so heftig, daß er kaum zu sprechen vermochte, und er sagte nur von Zeit zu Zeit: »Ich war Baumscherer in Faverolles!« Dann erhob er schluchzend seine rechte Hand und senkte sie, stufenweise, siebenmal, als ob er der Reihe nach sieben Köpfe von Kindern berühre, und daraus errieten die Leute, daß er, was immer er getan haben mochte, nur schuldig geworden sei, weil er diese sieben Kinder hatte ernähren und bekleiden wollen.
    Er kam nach Toulon nach einer Reise von siebenundzwanzig Tagen, die er, die Kette am Halse, auf einem Karren zurückgelegt hatte. In Toulon zogen sie ihm die rote Jacke an, und hier wurde sein ganzes früheres Leben ausgelöscht, ja sogar auch sein Name, denn er war jetzt nicht mehr Jean Valjean, sondern Nummer 24 601. Was wurde aus seiner Schwester? Was aus den sieben Kindern? Wer kümmert sich darum? Was wird aus ein paar Blättern des Baumes, an dessen Fuß die Säge gesetzt worden ist?
    Es ist immer die gleiche Geschichte. Diese beklagenswerten Geschöpfe, die nunmehr ohne Stütze und ohne Führer waren, wurden auseinandergetrieben vom Zufall, vielleicht jeder woandershin. Sie verließen die Heimat.

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