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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Gillenormand, der inzwischen zum Hauptmann avanciert war, kam aus Chartres, wo er in Garnison stand, um der Hochzeit seines Vetters Pontmercy beizuwohnen. Cosette erkannte ihn nicht. Und er, von jeher gewöhnt, daß alle Frauen ihn sehr hübsch fänden, erinnerte sich Cosettes nicht mehr als einer anderen.
    Wie recht ich doch hatte, nicht auf das Geschwätz dieses Kavalleristen zu hören, dachte Vater Gillenormand.
    Cosette war nie zärtlicher zu Jean Valjean gewesen als an diesem Tage. Das Glück will, daß alle Welt glücklich sei. Wenn sie mit ihm sprach, fand sie den Tonfall wieder, in dem sie als kleines Kind geredet hatte. Sie streichelte ihn mit einem Lächeln.
    Jean Valjean hatte sich im Salon auf einen Stuhl hinter der Tür gesetzt, so daß er für die im Speisesaal versammelte Gesellschaft kaum zu sehen war. Kurz bevor man sich zu Tisch setzte, kam Cosette in einer plötzlichen Regung zu ihm, um ihn mit einer tiefen Verneigung zu begrüßen.
    »Bist du zufrieden, Vater?«
    »Ja, ich bin zufrieden.«
    »Gut, dann sollst du aber lachen!«
    Und Jean Valjean lachte.
    Einen Augenblick später kündete Baske an, daß serviert sei. Die Gäste nahmen nach der Tischordnung an der Tafel Platz. Zur Rechten und Linken der Braut standen zwei große Lehnstühle, einer für Gillenormand, der andere für Jean Valjean. Gillenormand setzte sich; aber der andere Stuhl blieb leer.
    Alle sahen sich nach Herrn Fauchelevent um.
    Er war nicht da.
    Gillenormand rief Baske.
    »Weißt du, wo Herr Fauchelevent ist?«
    »Ach, gnädiger Herr, eben hat mir Herr Fauchelevent aufgetragen, Ihnen zu bestellen, daß seine Hand ihn schmerzt und daß er nicht mit dem Herrn Baron und der Frau Baronin speisen kann. Er bittet, ihn zu entschuldigen, er wird morgen früh vorsprechen.«
    Der leere Lehnstuhl wirkte einen Augenblick lang bedrückend. Aber wenn auch Fauchelevent fehlte, Gillenormand war ja da, und er strahlte für zwei. Herr Fauchelevent habe nur recht getan, versicherte er, sich sofort zu Bett zu begeben, wenn seine Hand schmerze; übrigens liege kein Anlaß vor, sich zu beunruhigen, das Ganze sei nur ein harmloses Wehweh.
    Cosette und Marius befanden sich in einem so egoistischen Glückszustand, daß sie Mißbehagen gar nicht empfinden konnten. Übrigens hatte Herr Gillenormand einen erlösenden Gedanken.
    »Großer Gott!« rief er, »der Lehnstuhl ist leer. Komm her, Marius, deine Tante wird es, obgleich sie ein Recht auf dich hat, schon erlauben. Dieser Stuhl gehört dir. Fortunatus neben der Fortunata!«
    Alle spendeten Beifall, und Marius nahm neben Cosette Platz.So kam es, daß Cosette, die zuerst Jean Valjeans Abwesenheit beklagt hatte, schließlich mit ihr recht zufrieden war. Sanft setzte sie ihren zarten, weißbeschuhten Fuß auf den Marius’.
Der Koffer, von dem Jean Valjean sich nie trennte
    Was war aus Jean Valjean geworden?
    Sofort nachdem er auf Cosettes zärtlich geäußerten Wunsch gelacht hatte, war er aufgestanden und unbemerkt ins Vorzimmer hinausgeschlichen. Er traf dort Baske, erteilte ihm den Auftrag, seinen Weggang zu entschuldigen, und ging.
    Die Fenster des Speisesaals gingen nach der Straße hinaus. Jean Valjean blieb einige Minuten reglos stehen und lauschte. Gedämpft kam das Geräusch des Festes bis zu ihm. Er hörte die laute, herrische Stimme des Großvaters, Geigenspiel, Klirren von Tellern und Gläsern, fröhliches Gelächter und deutlich unter all den anderen Stimmen die Cosettes.
    Da verließ er die Rue des Filles-du-Calvaire und ging in die Rue de l’Homme Armé.
    Er kam nach Hause, zündete seine Kerze an und stieg hinauf. Die Wohnung lag verlassen da, denn auch Toussaint war fort. Jean Valjeans Schritte hallten lauter wider als sonst. Die Türen aller Schränke standen offen. Er ging in Cosettes Zimmer. Die Laken waren von dem Bett genommen. Das Kissen, seines Bezugs und seiner Spitzen beraubt, lag auf den zusammengelegten Schlafdecken am Fußende der Matratzen. Alle diese kleinen Gegenstände, an die Frauen ihr Herz hängen, hatte Cosette mitgenommen; so blieben nur die schweren Möbel und die vier Wände zurück. Auch Cosettes Bett war verlassen. Nur eines schien auf einen Schläfer zu warten – das seine.
    Jean Valjean betrachtete die Wände, schloß die Türen der Schränke und ging von Zimmer zu Zimmer. Schließlich kehrte er in das seine zurück und stellte die Kerze auf den Tisch. Er nahm die Binde ab und bediente sich jetzt seiner rechten Hand, als ob sie unverletzt wäre.
    Er trat an

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