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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Baron, und ich spreche.«
    »Ich wiederhole Ihnen, daß Sie mir nichts zu sagen haben. Ich weiß alles, was Sie mir mitteilen wollen.«
    Wieder blitzte es auf in den Augen des Unbekannten.
    »Ich muß doch essen, Herr Baron. Es ist ein außerordentlich wertvolles Geheimnis. Geben Sie zwanzig Franken, und ich spreche.«
    Marius sah ihn scharf an.
    »Ich kenne Ihr wertvolles Geheimnis. Mir ist der Name Jean Valjeans ebenso bekannt wie der Ihre.«
    »Der war nicht schwer zu erraten, Herr Baron. Ich hatte die Ehre, ihn unter meinen Brief zu setzen. Thénard.«
    »…dier.«
    »Wie bitte?«
    »Thénardier.«
    In der Gefahr streckt das Stachelschwein seine Stacheln aus, der Käfer stellt sich tot, die Soldaten bilden ein Karree. Dieser Mann lachte. Dann schnippte er mit den Fingern ein Stäubchen von seinem Ärmel.
    »Und Sie sind auch der Arbeiter Jondrette«, fuhr Marius fort, »der Schauspieler Favantou, der Dichter Genflot, der Spanier Don Alvarez und Frau Balizard.«
    »Frau wie?«
    »Und in Montfermeil hatten Sie eine Herberge.«
    »Eine Herberge? Niemals!«
    »Und ich sage Ihnen, daß Sie Thénardier heißen und ein Lump sind.«
    Marius griff in die Tasche, zog eine Banknote heraus und warf sie ihm ins Gesicht.
    »Danke! Verzeihung! Fünfhundert Franken – Herr Baron!«
    Fassungslos prüfte der Mann das Papier.
    »Gut«, sagte er endlich mit einem wilden Entschluß. »Dann ohne Umschweife.«
    Und mit der Behendigkeit eines Affen nahm er seine Haare ab, riß die Brille herunter – kurz, er nahm sein Gesicht ab, wie ein anderer den Hut lüftet. Jetzt trat seine zerbeulte, widerwärtige runzelige Stirn hervor, die Nase wurde scharf wie ein Schnabel, das wilde, listige Gesicht des Beutemachers wurde sichtbar.
    »Der Herr Baron ist unfehlbar«, sagte er mit einer Stimme, die nicht mehr näselte. »Ich bin Thénardier.«
    Und in diesem Augenblick verschwand auch der Buckel.
    Thénardier war gedemütigt. Er sah diesen Baron Pontmercy zum erstenmal, und doch erkannte ihn der Baron sogar in seinerVerkleidung. Ja, er war nicht nur über Thénardier, er war sogar über Jean Valjean aufgeklärt.
    Wie der Leser sich erinnert, war Thénardier einige Zeit Marius’ Nachbar gewesen, hatte ihn aber, wie das in Paris wohl geschieht, niemals zu Gesicht bekommen. Der Gedanke, daß jener Marius dieser Baron Pontmercy sei, lag ihm fern.
    Übrigens hatte seine Tochter Azelma, die er mit der Ausforschung der Neuvermählten beauftragt hatte, allerlei herausgebracht, und auch er hatte manche geheimnisvolle Zusammenhänge aufgespürt. Durch emsige Nachforschungen war es ihm gelungen, zu erraten, wer der Mann war, dem er damals am Ausgang der Sammelkloake begegnet war. Dann hatte er den Namen herausgebracht. Er wußte, daß die Baronin Pontmercy niemand anderes war als Cosette. Aber über diesen Punkt wünschte er sich nicht zu äußern. Wer war Cosette? Er wußte es ja selbst nicht. Irgendein uneheliches Kind offenbar, denn die Geschichte Fantines war ihm immer unglaubwürdig erschienen. Wozu aber sollte er davon sprechen? Sollte er sein Schweigen verkaufen? Er hatte bessere Trümpfe auszuspielen. Oder er glaubte es wenigstens. Überdies würde der Baron Pontmercy aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn man ihm ohne alle weiteren Beweise sagte, seine Frau sei ein uneheliches Kind, kaum mit einer anderen Münze zahlen als mit einem Fußtritt.
    Thénardier sah Marius fast zärtlich an.
    »Thénardier«, begann Marius, »ich habe Ihnen Ihren Namen genannt. Was Ihr Geheimnis betrifft: wollen Sie, daß ich es Ihnen sage? Ich bin auch informiert. Sie werden sehen, daß ich mehr weiß als Sie. Sie sagen, daß Jean Valjean ein Mörder und Dieb ist. Er ist ein Dieb, denn er hat einen reichen Fabrikanten bestohlen, dessen Ruin er verursacht hat, einen gewissen Madeleine. Und er ist ein Mörder, denn er hat den Polizeiagenten Javert ermordet.«
    Thénardier warf Marius jetzt den stolzen Blick eines Mannes zu, der schon geschlagen war und in letzter Minute das verlorene Terrain wiedergewinnt.
    »Sie sind hier auf einer falschen Spur, Herr Baron.«
    »Wie, Sie bestreiten das? Es sind Tatsachen.«
    »Nein, es sind Schimären. Das Vertrauen, mit dem der Herr Baron mich beehrt, macht es mir zur Pflicht, Ihnen das zu sagen. Jean Valjean hat Javert nicht getötet.«
    »Wieso nicht?«
    »Er hat weder Javert getötet noch Madeleine bestohlen. Madeleine kann er nicht bestohlen haben, denn Jean Valjean ist selbst Madeleine.«
    »Aber was erzählen Sie da?«
    »Und

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