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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Nacht sei, pechschwarze Nacht, und daß die Karaffen und Krüge in den Zimmern der Neuankömmlinge wohl gefüllt werden müßten; und daß kein Wasser mehr im Zuber war.
    Eine gewisse Beruhigung bereitete es ihr, daß im Hause Thénardier nicht viel Wasser getrunken wurde. An Durst fehlte es den Leuten ja nicht, die hier vorbeikamen, aber sie hielten sich doch lieber an den Weinkrug als an die Wasserflasche. Wer hier inmitten so vieler Weintrinker ein Glas Wasser verlangt hätte, wäre für einen Tropf gehalten worden.
    Und doch gab es einen Augenblick, in dem das Mädchen zitterte. Das war, als die Thénardier den Deckel von einer Kasserolle hob, die auf dem Herd stand, ein Glas nahm und rasch zu dem Zuber trat. Sie drehte den Hahn auf, und das Kind, das den Kopf gehoben hatte, beobachtete scharf den dünnen Faden Wassers, der auslief. Das Glas wurde nur zur Hälfte gefüllt.
    »Holla, kein Wasser mehr!« hatte die Thénardier gesagt. Das Kind atmete nicht.
    »Ach was«, sagte die Thénardier und prüfte ihr halbgefülltes Glas, »es wird auch so gehen.«
    Cosette wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, aber eine Viertelstunde lang klopfte ihr Herz, als ob es zerspringen sollte.
    Zuweilen tat einer der Trinker einen Blick auf die Straße hinaus und rief etwa:
    »Finster wie in einem Backofen!« oder: »In eine solche Finsternis getraut sich wohl nur eine Katze ohne Laterne.«
    Dann begann Cosette von neuem zu zittern.
    Jetzt trat einer der Hausierer in die Gaststube und sagte ärgerlich:
    »Mein Pferd hat kein Wasser bekommen!«
    »Doch«, sagte die Thénardier.
    »Und ich sage Ihnen, daß es keines bekommen hat, Frau«, antwortete der Hausierer.
    Cosette war unter dem Tisch hervorgekrochen.
    »Doch, Herr«, rief sie, »das Pferd hat getrunken, einen ganzen Eimer voll. Ich selbst habe ihm den Eimer gebracht.«
    Cosette log.
    »Was, du kleiner Däumling, du lügst ja schon wie eine Große!« rief der Hausierer, »ich sage dir, daß das Pferd kein Wasser bekommen hat, freche Range! Es hat eine Art zu schnaufen, wenn es kein Wasser bekommen hat, die ich sehr wohl kenne.«
    Mit einer Stimme, die vor Angst heiser war, bestand Cosette darauf:
    »Doch, es hat getrunken.«
    »Schluß!« rief der Hausierer wütend, »mein Pferd muß Wasser kriegen, mehr ist darüber nicht zu sagen.«
    Cosette kroch wieder unter den Tisch.
    »Natürlich«, sagte die Thénardier, »wenn das Tier kein Wasser gekriegt hat, so muß es jetzt welches kriegen.«
    Sie blickte um sich.
    »Wo ist denn die Kleine?«
    Sie bückte sich und sah Cosette, die sich unter dem Tisch fast zwischen den Beinen der anderen Zecher verkrochen hatte.
    »Willst du wohl hervorkommen!« schrie sie.
    Cosette tauchte aus dem Loch auf, in dem sie sich verborgen hatte.
    »Nun, du Wechselbalg, hol Wasser für das Pferd!«
    »Aber es ist doch kein Wasser mehr da«, sagte Cosette schwach.
    Die Thénardier riß die Türe auf.
    »Nun, dann hol’ welches.«
    Cosette ließ den Kopf hängen, dann holte sie aus der Kaminecke einen leeren Zuber. Er war größer als sie, das Kind hätte sich bequem hineinsetzen können.
    Die Thénardier trat wieder an den Herd und kostete mit einem Holzlöffel aus der Kasserolle.
    »Das ist ganz gut«, murmelte sie, »das kann gar nicht schaden. Ich glaube, ich hätte meine Zwiebel passieren können.«
    Sie zog eine Lade auf und suchte zwischen Kleingeld, Pfeffer und Schalotten eine Münze heraus.
    »Da, du Assel, am Rückweg holst du vom Bäcker ein großes Brot. Hier sind fünfzehn Sous.«
    Cosette hatte eine kleine Tasche in ihrer Schürze; wortlos nahm sie die Münze und steckte sie ein.
    Dann blieb sie stehen, den Zuber in Händen, spähte durch die offene Tür hinaus. Es war, als ob sie von irgendwo Hilfe erwartete.
    »Los, was stehst du noch da!« schrie die Thénardier.
    Cosette ging.
Eine Puppe erscheint auf der Szene
    Auf dem Wege zur Kirche waren die Hökerbuden in langer Zeile aufgereiht. Da die Stunde des Gangs zur Mette bevorstand, waren in zahlreichen Lampions Kerzen angezündet, was der Straße, wie der Schulmeister von Montfermeil sagte, ein magisches Aussehen gab. Dafür war kein Stern am Himmel zu sehen.
    Die letzte der Buden, die gerade Thénardiers Tür gegenüberstand, hatte allerlei bunte Flitter, Glassachen und glitzerndes Blechzeug ausgestellt. In der vordersten Reihe aber stand eine ungeheure, fast zwei Fuß hohe Puppe, die in ein rosa Kreppkleidchen gehüllt war, ein Goldhäubchen auf dem Kopf trug, Emailleaugen und echte Haare

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