Lesebuch für Katzenfreunde
Eintagsküken, Hühner und Kaninchen. Die Wildkatzenbesitzer, die ich kenne, haben im Sommer und im Winter Lederjacken an und stets Lederhandschuhe zur Hand, weil sie eine ganz ordinäre Angst vor den Krallen ihrer herrlich anzusehenden edlen Wildkatzengeschöpfe haben.
Wenn man gar einen Baum-Ozelot hat, dann findet man keine Firma, die einem die Haut versichert, denn diese lieben Tiere können dank einer besonderen, von Leyhausen entdeckten anatomischen Beweglichkeit ihrer Hinterfußgelenke wie die Nebelparder klettern und sich wie Luftakrobaten am Fußrist aufhängen. Sie können mit dem Kopf voran am Baum hinuntersausen, (unsere Hauskatzen machen das im Rückwärtsgang und sehr langsam), und tun das in Gefangenschaft gern und oft mit Vorliebe an den befreundeten Menschen, die ja sowieso den ganzen Tag als bequeme Kletterbäume in der Gegend herumstehen.
Mit Ozelots, europäischen Wildkatzen und Servalen zu spielen, ist ungefähr so, wie eine Balgerei mit jungen Tigern. Auch wenn ein Wildkater nur im Spiel, sozusagen aus Spaß, mit der Vorderpranke zuschlägt, kann bei uns schon Blut fließen. Und wenn die Wunde noch so weh tut – der Kater hat’s nur im Spiel getan, er ist eben gewöhnt, daß seine Partner ein halbes Bärenfell haben, in dem sich jeder ernst gemeinte Prankenhieb verfängt.
Für die allermeisten Menschen ist es sicher nicht der schlechteste Rat, sie mögen die Finger lassen von dieser Katzenhaltung – und das auch dann, wenn sie eine ursprüngliche Freude haben an einem wilden, ungebärdigen und ganz und gar aus inneren Antrieben heraus lebenden Tier. Wer ein Wildkatzengehege anlegt, macht damit einen Tiergarten auf; auch wer entzückende kleine Wildkätzchen zu sich nimmt, kann sich den Tag ausrechnen, an dem er Zoodirektor wird oder die Tiere weggeben muß. Und das ist bestimmt die schlechteste Lösung. Schon unsere Hausmiezen sind keine Spielzeuge – und wilde Katzen sind es noch viel weniger.
Eben bin ich nach Hause gekommen. Mein in der Wohnung eingesperrter Kater Henriette schrie schon los, als ich gerade drei Stockwerke tiefer den Schlüssel in das Schloß steckte. Es ist Sonntag, und ich hörte seinen empörten Maunzer: »Kommst du endlich zu mir, zu dem ärmsten, verlassensten Kater in dieser großen Stadt?!« durch das Haus schallen. Wenn fremde Leute in dem Mietshaus ein und aus gehen, ist ihm das gleichgültig, die maunzt er nicht an. Erst wenn er den Schritt eines Familienmitgliedes oder eines Menschen hört, mit dem er befreundet ist, meldet er sich mit seinem Klageschrei. Sein innigstschimpfender und lautester Gruß gilt jedoch meiner Frau und mir, den Riesen, die ihn am meisten allein lassen und einsperren.
Heute morgen waren wir zusammen im Wald. Ich saß unter einem Baum in der Sonne, die Kinder spielten an einem See, und Henriette untersuchte die nähere Umgebung. Immer wenn Fremde vorbeikamen, senkte er sein Hinterteil und ließ die Ohren suchend in der Richtung des Störenfriedes spielen. Kam der Fremde zu nahe, dann sauste er entweder in ein nahes Gestrüpp, oder er kam zu mir, hüpfte auf meinen Schoß, preßte sich an mich und machte sich ganz klein in meinem Arm.
Sachlich-nüchtern könnte ich sagen, das kleine Tier habe dabei alle männlichen Schutzinstinkte in mir ausgelöst, die mich zwingen, jedes Kind und jedes den Menschenkindern ähnliche Geschöpf zu beschützen, wenn sie angegriffen werden. Ohne Zweifel wäre das richtig, doch da kommt noch etwas hinzu: die Katze ist nur für mich ein kindchenähnliches Wesen, für sie aber bin ich zwar eine Art Mitkatze, da sie ja sehr früh zu uns gekommen ist, aber ich habe darüber hinaus auch noch eine Schutzfunktion für sie, die sich nicht mehr aus dem Leben ihrer wilden Ahnen erklären läßt, die gewiß nicht beieinander Schutz gesucht haben, wenn sie vorsichtshalber in Deckung gekrochen sind. Ich, der große Mensch, bin für meinen kleinen Kater Katzenmutter und Katzenhöhle zugleich. Nur jene großartige Freiheit des Handelns, die meinem Kater wie jedem Haustier geschenkt ist, befähigt ihn zu dieser Handlungsweise, die mir wie eine Geste vorkommt: er kann meinen Schutz aufsuchen – das ist das Wunder der Domestikation, die ihn befreit hat von dem vielfältig festgelegten Leben des wilden Tieres. Mein Kater ist mir, alles in allem, ähnlicher als seine Ahnen.
Und das verbindet mich mit ihm. Er ist mir näher als der Ozelot und der Serval, er ist ein Tier, das unter meinen Schutz gegeben worden ist und das
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