Lesebuch für Katzenfreunde
Ich lese, sie putzt sich das Fell. Dann erzähle ich ihr von meiner Arbeit. Ich weiß, es ist nicht besonders abenteuerlich, aber ich liebe Bücher. Sie hört aufmerksam zu. Ich kraule ihr das Kinn, sie schließt die Augen. Ich habe mich daran gewöhnt, daß sie schnurrt.
Eine wunderbare Zeit beginnt. Wenn ich von der Arbeit komme, sitzt sie im Flur und erwartet mich. Ich erzähle ihr, was ich erlebt und gelesen habe. Dann bereite ich unser Abendessen. Wir essen schweigend. Ich räume den Tisch ab, lasse das gefüllte Weinglas stehen, gebe ihr sauberes Wasser.
Während ich Wein trinke, berichte ich ihr die aktuellen Nachrichten. Das gehört zusammen, Wein und Welt. Den Abend beschließen wir auf dem Bett. Ich lese ihr vor, oder wir sehen fern. Besonders gerne mag sie Wildwest- und Kriminalfilme. Obwohl ich mich für solche Filme nicht interessiere, studiere ich das Programm zwei Wochen im voraus.
Lena hatte auch Western gemocht. Hinterher war sie jedesmal ganz kribbelig, dann haben wir uns geliebt. Western und miteinander schlafen, das gehörte zusammen wie Wein und Welt.
Bei Gruselfilmen hatte sie sich die Augen zugedeckt und durch die Finger geschmuhlt.
Im Mai kaufe ich Blumenkästen und Erde. Auf allen Fenstern pflanze ich Blumen. Sie legt sich auf die Keimlinge und schläft in der Sonne.
Nach zehn gemeinsamen Wochen kaufe ich einen kleinen Braten. Ich koche eine Hälfte für mich, die andere, ohne Salz, für die Katze.
Von dem Essen sind wir müde und gehen früh ins Bett. Spät nachts werde ich wach. Ihre Bernsteinaugen funkeln mich an. Wenn Augen wirklich die Seele bedeuten, dann spielt in ihrer ein Fegefeuer. Eine leichte Unruhe erfaßt mich.
»Du darfst mich nie verlassen.«
Sie nickt, ich ahne es durchs Dunkel.
Sie hatte immer nackt geschlafen, noch im Traum hatte ich ihre warme Haut an meiner gespürt. Wenn wir aufwachten, weil der Wecker klingelte, schien sie minutenlang in ihren Träumen zu verharren und nur langsam in den Tag zu gleiten. In dieser Zeit hatte ich den Kaffee schon fertig. Sie gab mir dann immer einen Kuß. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der morgens nicht schal schmeckte. Am Anfang hatte mich das beschämt.
Ich komme von der Arbeit. Es ist Freitag, die schweren Tüten vom Einkauf schneiden in meine Finger.
Die Katze sitzt nicht im Flur!
Ich suche in der ganzen Wohnung, schaue unter die Möbel, in die Schränke. Sie ist fort.
Eine Stunde mag vergangen sein, ich stehe schwer vom Stuhl auf. Es hat keinen Sinn, sich gehen zu lassen. Ich reiße mich zusammen, dränge die Erschütterung beiseite. Auf diesem kleinen Friedhof sind schon viele begraben.
Ich mache das Abendbrot, gebe mir ganz besonders viel Mühe. Ich decke wie gewohnt für zwei. Einen Teller oben, einen Teller unten.
Am nächsten Morgen grüße ich die leere Wohnung. »Guten Morgen, Katze, ein wundervoller Tag.«
Damals, als sie gegangen war, hatte ich in der ganzen Wohnung nach irgend etwas von ihr gesucht. Sie war ohne etwas gekommen und ohne etwas gegangen. Sie hatte nichts zurückgelassen. Nur den Zettel.
Ich koche Kaffee und mache zwei Toast. Ich wechsle das Wasser im Schälchen, auf der Oberfläche schwimmen Staubflusen. Lena hatte Staub nie etwas ausgemacht, sie hatte eine eigene Ordnung. Mich erinnerte Staub immer an Spinnweben. Spinnen kann ich nicht leiden.
Leider ist ein Sonnabend, ich wäre gerne in die Bibliothek gegangen.
In der nächsten Woche, es ist ein Dienstag, beginnt mein Urlaub. Ich wollte immer das Leben so annehmen wie es ist, es fällt mir so schwer jetzt.
Viele Tage sitze ich am Fenster und sehe hinaus.
Dann gehe ich doch los. Zuerst suche ich sie in der Zoohandlung. Sie ist nicht dort.
Jede graue Katze treibt mir Schweiß aus den Poren. Sie ist es nie. In meinem Vorratsschrank steht Katzenfutter. Ich werfe es weg. Zwei Tage später kaufe ich neues. Wenn sie kommt und Hunger hat?
Die Blumen vor dem Fenster duften.
Lenas scharfer Geruch hing noch nach Wochen in den Laken.
Ich wechselte die Wäsche erst, als sie begann grau zu werden.
Die Arbeit beginnt wieder. Ich habe mich daran gewöhnt, daß sie nicht auf mich wartet. Hätte sie doch nur einmal geschnurrt, dann wäre es leichter für mich.
Es riecht nach Herbst. Die Tage werden kürzer jetzt. Wenn ich von der Arbeit komme, mache ich in der ganzen Wohnung Licht. Die Schattenecken spielen böse Streiche.
Meiner Nachbarin gehe ich aus dem Weg. Sie hält mich für unhöflich. Wir grüßen uns nicht mehr.
Es zieht ein
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