Lesebuch für Katzenfreunde
Liebe an. Sie brauchte keine Entscheidungen mehr zu treffen.
Annette Berr
Katze
Ein Mann rempelt mich an im Vorübergehen. »Gut«, denke ich, und gehe in den Laden.
»Was kostet die graue Katze?«
»Welche graue Katze?«
»Die im Schaufenster.«
»Ich habe keine graue Katze. Weder grau noch sonstwie.«
Ich mag es nicht, wenn Menschen mich so ansehen, wie dieser Mann mich ansieht. Hastig verlasse ich den Laden. Die Katze sitzt nicht mehr im Schaufenster. Im Fortgehen spüre ich die Augen des Zoohändlers in meinem Rücken.
Die Wohnung ist leer. Natürlich ist sie leer. Sie ist immer leer. Wer sollte auch dort sein?
Ich lebe allein. Ich lebe gern allein. So brauch ich auch auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Heute vermisse ich etwas. Es wäre schön, wenn jemand hier wär.
Ich weiß es genau. Die Katze saß im Schaufenster. Ich habe sie mir nicht eingebildet. Sie hat auf mich gewartet. Jawohl, auf mich gewartet. Warum auch nicht? Ach, Unsinn! Man kommt auf seltsame Gedanken, wenn man viel alleine ist.
Im Bett liege ich lange wach. Früher, da war da noch Lena. Ich glaube, ich habe sie geliebt. Mit ihr war immer alles so leicht. Sie hat nicht viel geredet, sie war einfach da.
Eines Tages stand sie vor meiner Tür. Sie suchte jemanden. Der hatte mal hier gewohnt. Ich wußte nicht, wohin er gezogen war. Sie blieb.
Eines Tages war sie fort. Es lag ein Zettel auf dem Bett. »Leb wohl«, stand da, und »Ich liebe dich!« Sonst hatte sie nichts zurückgelassen. Den Zettel muß ich verloren haben, eines Tages war er fort. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört. Es kam kein Brief. Als es zu regnen beginnt, schlafe ich ein.
Der Morgen ist klar und frisch. Es ist Samstag, ich brauche nicht in die Bibliothek. Früher, als Lena noch da war, da sind wir am Wochenende nie vor Mittag aufgestanden. Wir haben Kaffee im Bett getrunken und Brötchen gegessen. Dann haben wir uns geliebt. Später lagen wir beieinander, ich erzählte etwas, sie nickte. Einmal hat sie laut gelacht. Ich war gekränkt. Ich sagte, sie sei unhöflich. Sie nahm mich in den Arm. »Du solltest ein Buch schreiben, viele Bücher.« Ich schwieg.
Als sie dann fort war, zuerst wollte ich es nicht glauben, ich dachte, sie kommt bestimmt bald wieder. Geweint habe ich nie.
Es klingelt an meiner Tür. Ich bin verblüfft, bleibe liegen, warte. Das kann nicht sein. Mich besucht niemand. Es klingelt wieder, heftig.
Ich stehe auf, öffne die Tür einen Spalt. Ein grauer Schatten huscht an meinen Füßen vorbei in die Wohnung. Meine Nachbarin lächelt breit.
»Guten Morgen. Entschuldigen Sie die Störung. Ihre Katze, sie saß vor der Tür. Sie ist Ihnen wohl entwischt.«
»Mmh, hä… danke. Sie wird mir wohl entwischt sein.«
»Schönes Wochenende noch. Ach – übrigens«, sie zwinkert vertraulich, »ich verrate nichts, ich schweige wie ein Grab.«
»Häh?«
»Na, wegen dem Vermieter. Ist doch verboten, die Kleintierhaltung. Psst!« Sie neigt sich an mein Ohr. »Ich hab ja auch eine Katze. Schon seit drei Jahren. Gell, hat nie einer was gemerkt. Und Sie? Sie verraten mich ja wohl auch nicht.«
»Hmm.« Ich will die Tür schließen, sie prescht vor. »Lassen Sie sie halt nicht mehr ins Treppenhaus. Dann merkt auch keiner was.« Ich drücke die Tür heftig ins Schloß.
Ich drehe mich um. Sie sitzt in der hintersten Ecke. Sie schaut mich an.
Ist sie es? Die Katze aus dem Schaufenster? Ich kann es nicht beschwören.
Eine vage Erinnerung drängt an mein Bewußtsein. Ich greife nach ihr, sie ist fort.
Sie muß es sein. Sie hat mich gesucht. Sie hat mich gefunden. Ich freue mich.
»Heh, Katze, du bist da. Du bist zu Hause.« Sie schaut mich nur an. »Wie hast du mich gefunden?« Sie schaut.
»Ich werde dich Katze nennen. Komm in die Küche, du hast sicher Hunger.«
Sie läuft mir voran, erwartet mich vor dem Kühlschrank.
»Heh, du, scheint ja ganz so, als würdest du dich hier auskennen.«
Ich suche nach etwas zu fressen für sie. Wo ist das Ding nur, ich weiß genau, ich hatte noch so eine Dose mit Frühstücksfleisch. Die Katze beobachtet jede meiner Bewegungen.
Später lege ich mich wieder auf das Bett. Ich nehme ein Buch, beginne zu lesen. Die Katze sitzt neben mir auf dem Kopfkissen, sie putzt sich das Fell.
»So ist’s recht«, sage ich.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, gehe ich zu meiner Nachbarin. Ich borge mir eine Büchse Katzenfutter, Marke Schlemmertopf. Die Katze wartet in der Küche.
Sie ist fertig. Wir gehen wieder aufs Bett.
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