Lesereise Abu Dhabi
Letzteres soll ebenso wie der Hadid-Entwurf erst in der zweiten Projektphase verwirklicht werden. So oder so: Nichts davon soll sich zu sehr an Bestehendem orientieren, alles sich voneinander und von sämtlichen möglichen Vorbildern in anderen Weltgegenden unterscheiden und eine eigene Sprache sprechen.
Gehry bekannte in einem Interview, mit seinem Zeichenstift zunächst im Nebel gestochert zu haben: »Ich hatte keinen Kontext, mit dem ich spielen konnte. Am Bauplatz waren nichts als Mangroven, und zur Orientierung hatte ich nur die Fußspuren im Sand zur Verfügung.« Er arbeitete sich hinein, bereiste die islamische Welt, suchte Inspiration auch in den großen Moscheen Istanbuls mit ihren verschachtelten und versetzten Anbauten: »Ich kam mir vor wie ein Blinder, der sich mit allen anderen Sinnen in eine Kultur hineinfinden musste.« Es ist ihm gelungen – fand jedenfalls Scheich Sultan bin Tahnoon al-Nahyan, als er die ersten Entwürfe in Gehrys Büro sah. Der Funke sprang über. »Da ist etwas Großartiges zwischen uns geschehen«, freut sich der Architekt heute im Rückblick über die Begegnung mit dem Ansprechpartner aus der Herrscherfamilie, Chairman des staatlichen Investors TDIC . Der Versuch, als Blinder sehen zu lernen und die Wünsche der arabischen Auftraggeber zu erfühlen und nebenbei auch deren architektonische Traditionen neu zu interpretieren und in die Gegenwart zu heben – er ist gelungen.
Die Entwürfe sind durchweg spektakulär geraten und erlebten allesamt umjubelte Präsentationen. Die weiter ausgefeilten Modelle, teils bereits mit Beleuchtungseffekten zum Leben erweckt und computeranimiert sogar schon von virtuellen Besuchern durchströmt, werden inzwischen im Ausstellungszentrum »Manarat al Saadiyat« auf der Kulturinsel einen guten Kilometer Luftlinie von den Baustellen öffentlich vorgezeigt, während drumherum Schaufelbagger unterwegs sind, Lastwagen vor Schranken und Pförtnerhäuschen Schlange stehen und Kräne kreisen. Draußen entsteht, was drinnen noch Vision und Modell ist.
Und anders als in Dubai, wo wiederholt erst ein Megabauwerk in Windeseile hochgezogen wurde und erst anschließend die nötige Infrastruktur hinzuimprovisiert wurde, ist hier all das bereits fertiggestellt, was gemeinhin weniger Glamour hat, aber notwendig ist: bis zu zehnspurige Straßen über die Insel, die Anbindung Richtung Flughafen und zur Autobahn, die Brücke hinüber nach Abu Dhabi Stadt, erste Ferienhotels der Edelmarken St. Regis und Park Hyatt entlang des neun Kilometer langen Sandstrands, dazu Hunderte Villen und ein bereits eingeweihter Golfplatz mit künstlich bewässertem Grün und Nobelclubhaus.
Ursprünglich sollte die Erschließung Saadiyats mit allem Drum und Dran zwanzig Milliarden Dollar kosten. Inzwischen geht man von siebenundzwanzig Milliarden Dollar aus. Allein der Kulturdistrikt mitsamt seiner Museen, immerhin das emotionale Herz des Gesamtprojekts, schlägt dabei mit rund neun Milliarden Dollar zu Buche.
Und nicht ganz billig wird auch die Verlegung von Abu Dhabis wichtigem Handelshafen Port Zayed mit seinen Anlegern, Kränen und Lagerhallen sein – obwohl er gar nicht auf Saadiyat ist. Aber er stört den Blick, befand der Familienrat der Herrscherfamilie. Denn erst wenn Port Zayed umgesiedelt sein wird, hat man freie Sicht vom Zentrum der Hauptstadt auf die neuen Megamuseen am gegenüberliegenden Ufer auf Saadiyat.
Alles in allem jedenfalls soll die Insel einmal hundertfünfundvierzigtausend Menschen ein Zuhause bieten und dann das edelste und begehrteste Stadtviertel Abu Dhabis sein. Schätzungen der federführenden Investmentfirma TDIC gehen davon aus, dass bis zu vierzig Prozent der bisherigen Käufer der Wohnimmobilien reine Anleger sind, die ihre Erwerbung noch vor dem Erstbezug mit sattem Gewinn weiterveräußern möchten. Ein Gutteil der anderen werde die Häuser zunächst als Ferienvillen oder Zweitwohnsitz nutzen und dann ganz und gar herziehen, wenn das Projekt Saadiyat weitgehend abgeschlossen und mit Leben gefüllt sein wird. Viele werden sich all das erst dann richtig vorstellen können, wenn sie sehen, was aus der sandigen Fläche der Vergangenheit und den Rohbauten der Gegenwart geworden sein wird.
Und auch Norman Foster, von dem zum Beispiel die Kuppel auf dem Reichstag in Berlin stammt, gibt unumwunden zu, dass er sich erst an sein Projekt im Kulturdistrikt herantasten musste: »Sie müssen zurückschauen, was hier in Abu Dhabi vorher war. Was gebaut
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