Lesereise Abu Dhabi
ist die größte der acht Desert Islands. Wie kleine Goldmünzen funkeln die Inseln im Persischen Golf. Wo Dubai mit riesigem Aufwand künstliche Eilande aufgeschüttet, ja ganze Weltkarten im Meer angelegt hat, verfügt Abu Dhabi über eine ganz natürliche Inselwelt. Die Scheichs am Golf haben Hochhäuser auf Sand gebaut. Sie haben Skipisten auf Sand und Formel-Eins-Kurse im Sand gebaut. Und jetzt endlich haben sie etwas Sinnvolles geschaffen: ihre ganz persönliche Serengeti. Alles fing mit zehn Antilopen an. 1971 war das. Der damalige Regent Scheich Zayed bin Sultan al-Nahyan hatte sie gekauft und auf seine Privatinsel bringen lassen. Oft kam Zayed mit seiner Frau an Wochenenden hierher, um die Ruhe im Persischen Golf zu genießen, und lebte dabei in seinem Inselpalast.
Zunächst bestand Sir Bani Yas aus nichts als Sand und Stein. Doch der Scheich hatte eine Vision: Er wollte die Insel zu einem grünen Paradies für bedrohte Tierarten machen, denn Zayed war nicht nur ein Visionär, sondern auch leidenschaftlicher Tierliebhaber. Er war überzeugt, dass das Leben in der Wüste ein essentieller Bestandteil der emiratischen Kultur sei. Nur weil sie die Wüste verstanden haben, konnten seine Vorfahren über Jahrtausende an diesem unwirtlichen Ort überleben. Deshalb müsste man die Tier- und Pflanzenwelt erhalten. Sein ganzes Leben setzte sich Zayed für den Erhalt der Natur ein. Und so war Sir Bani Yas nicht nur Teil eines Programms, die Wüste zu begrünen und lebensfreundlicher zu gestalten, in dessen Rahmen eine Million Büsche und mehr als zweieinhalb Millionen Bäume gepflanzt wurden, sondern auch gedacht, um bedrohten Tierarten einen Lebensraum zu schaffen und ihr Überleben zu sichern.
In zwei Jahrzehnten wurden aus einer Handvoll Tiere mehrere Tausend. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde Sir Bani Yas an den Wochenenden für Besucher geöffnet. Bald waren die Tickets so begehrt, dass man sie ein Jahr im Voraus buchen musste. Heute bietet die Insel im mittlerweile auf viertausendzweihundert Hektar angewachsenen Arabian Wildlife Park Dutzenden von Arten Schutz, die als gefährdet gemeldet werden, darunter die arabische Oryxantilope, die 1972 in freier Wildbahn bereits als ausgestorben galt, Hirschziegenantilopen sowie Wild- und Berberschafe. Dazu kommen Giraffen, Goldrückenschakale, Geparden, braune Hyänen und mehr als hundertsiebzig Vogelarten. Etwa fünfzehntausend Tiere bevölkern die Insel heute, umgeben von einem zweiunddreißig Kilometer langen Zaun. Auch das Meer ist geschützt, deshalb sieht man in den türkis schillernden Buchten oft Meeresschildkröten, Delfine und sogar Dugongs, bei uns auch Gabelschwanzseekühe genannt.
Seit etwa sechstausend Jahren ist Sir Bani Yas bewohnt. Auch damals müssen auf der Insel schon Tiere gelebt haben, denn Archäologen fanden zwar keine Knochen, aber jede Menge Jagdwerkzeuge und Pfeilspitzen. Erstmals in europäischen Schriftstücken erwähnt wurde Sir Bani Yas im Jahr 1590, als der Venezianer Gasparo Balbi die Insel als einen Ort beschrieb, »in dessen Nähe oft Perlen gefunden werden«. Schon damals wurde die Insel vom Beduinenstamm der Bani Yas besiedelt. Sie tauchten nach Perlen und lebten vom Fischfang. In den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts lebten etwa tausend Menschen auf der Insel. Die letzten Siedler verließen Sir Bani Yas vor etwa hundertzwanzig Jahren. Doch es gibt bis heute steinerne Zeugen der langen Siedlungsgeschichte. Gefunden wurden ein etwa viertausend Jahre altes Grab, ein befestigter Wachturm, eine Moschee und viele Bauten von Perlenfischern. Und noch viel wichtiger: 1992 stießen Archäologen bei Ausgrabungsarbeiten auf eine Sensation: Sie entdeckten ein christliches Kloster der Nestorianer. Das präislamische Kloster soll um das Jahr 600 nach Christus gebaut worden sein. Damit ist die Insel der einzige Ort im gesamten Mittleren Osten mit christlichen Spuren aus vorislamischer Zeit.
Heute gibt es auf Sir Bani Yas keine Dörfer mehr, keine Häuser, vor denen Kinder spielen, keine Gehöfte, ja noch nicht einmal Nomadenzelte, in denen Tee getrunken wird. Aber es gibt ein Hotel und vor allem den Wildpark. Nachdem Zayed diesen eingerichtet hatte, wurden zunächst zehntausend Tiere von der Insel aufs Festland umgesiedelt. Anschließend wurden die einheimischen Arten wieder zurückgeholt. Auch einige nicht endemische Tiere kehrten zurück nach Sir Bani Yas, darunter die Giraffen, die Scheich Zayed so liebte.
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