Lesereise - Afrika
welch müde Überraschung. Der Botschaftssprecher begrüßt mich freudig, klärt auf: »In unser Land reisen? Überhaupt kein Problem, Monsieur!« Die paar Hundert Toten der letzten Tumulte, die marodierenden Soldaten, die plündernden Horden, die ruinierte Infrastruktur und eine hungerkrank dahinsiechende Bevölkerung, négligeable, wo, verdammt noch mal, soll das Problem sein?
Ich suche nach Alternativen, um das Land zu umfliegen. Witziges Air-Afrique-Büro, es bietet fünfundsiebzig Prozent Ermäßigung für die »Jungen«, die »Alten«, die »Familienmitglieder«, die »Religiösen«, die »Studenten«. Pech für Heimatlose wie mich, die nicht jung und nicht alt sind, weder zu einer Familie, noch einer Religion gehören. Sie müssen mit dem vollen Tarif bestraft werden.
Aber der Kauf eines Tickets scheitert aus anderen Gründen. Zuletzt an meiner Unlust, Zaire auszulassen auf der Tour hinunter nach Kapstadt. Bevor mir diese Unlust bewusst wird, wandere ich den weiten Weg hinaus zum Schlachthof. Gehen ist ein alter Trick, um das Hirn abzuspecken und den wichtigsten Gedanken übrig zu lassen. Zudem ist der Ort ausgesprochen symbolisch. Gleich daneben liegt die Villa Kolongo, das ehemalige, jetzt verrottete Herrschaftshaus Bokassas. Hier beschlief der als Lustmörder tätige »Empereur« seine Lieblingsfrau »la Roumaine« und warf tagsüber ihm lästige Mitmenschen in den Löwenbunker. Wer von den Raubtieren verschmäht wurde, bekam eine zweite Chance und landete im Krokodilsteich. Sogar einen eigenen Schießgarten besaß der Dicke. Während er mit dem Morden die Zeit totschlug, ließ die immer durstige, immer wasserstoffgelbe Rumänin gleich vier ihrer Leibwächter an sich ran. Jean-Bédel hörte eines Tages davon und machte sie kalt. Das klingt wie Stephen King und ist nur wahr. Bokassas Prozess war eine Reise in die Abgründe seiner monströsen Sehnsüchte.
Nach dem Besuch bin ich krank. Elend tipple ich zurück ins Hotel. Nichts verführt mehr. Auch nicht Omar, der am Straßenrand den Koran liest und ein Fotobuch mit dem erfreulichen Titel »Toutes les positions de l’amour« feilbietet. Augenblicklich würde jede Stellung schmerzen. Als ich ankomme, besitze ich alle Symptome – Fieber, Kopfweh, Schüttelfrost, Durchfall –, um die einzige Diagnose zu stellen: Malaria. Das passiert, trotz Prophylaxe. Schon überfällig. Ein Blick auf die mit Insektenstichen überzogenen, seit Tagen rot geschwollenen Arme und Beine genügt. Ich bin dankbar, dass die lästige Seuche erst jetzt ausbricht. Ich schlucke die mitgebrachte Halfan-Kur. Das Hotel ist einfach und sauber, ich habe Ruhe.
Zum Mittagessen kommt immer Mark A., Amerikaner und Dealer, immer strahlend lachend und auf erfrischende Weise strohdumm (»I never read«) und bestens informiert. Er dealt, »was nicht riecht« und »nicht schwer wiegt« und »schweres Geld einfährt«: Diamanten. Regierungsbeamte bringen in ihren Diplomatenkoffern die Steine ins Ausland. Er schätzt, dass Millionen von US -Dollar das Land schwarz verlassen. Vorbei am offiziellen Bruttosozialprodukt. Viel geht nach Japan und Israel. Wer zur Kolingba-Clique gehört, ist fein raus. Alle Nicht-Mitglieder jedoch, die beim illegalen Wegtragen von Edelsteinen erwischt werden, dürfen fünfundzwanzig Jahre in einem zentralafrikanischen Zuchthaus über ihr Fehlverhalten nachdenken. Oder über Adressen von Geschäftsfreunden, die bereit wären, einen prallen Umschlag mit unzähligen CFA vorbeizubringen, um sie auszulösen.
Undurchsichtig, jeden Abend kommt Schlag sieben Uhr »der Belgier« vorbei und setzt sich an die Bar. Und greift nach den Spirituosen, säuft sich bis Schlag zehn märchenstill blau und verschwindet wieder. Keiner redet mit ihm, weil Thérèse verlauten ließ, dass der Mann allein bleiben will. Eine seltsame, unbewegliche Einsamkeit verbreitet der Mann. Ein Typ aus einem John-Huston-Film. Schon möglich, dass er unheimlich viele Geheimnisse verheimlicht. Schon möglich, dass der Stille nichts anderes darstellt als eine – so nannte Oscar Wilde die verschwiegenen Harmlosen: »Sphinx ohne Geheimnis«.
Nach vier Tagen bin ich reisefertig. Noch schwach, aber nicht schwach genug, um den Zustand der Bettlägerigkeit länger durchzustehen. Genau einunddreißig Passagiere, die sich in den »jolie neige« – so heißt unser VW -Bus Richtung Zaire – pressen. Bevor wir starten, bezahlt der Fahrer die »démarcheurs«, die »Zutreiber«, jene jungen Kerle, die standhaft
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