Lesereise - Afrika
creme die von herabhängenden Ästen geschürften Gesichter ein, verreibe Insektenmittel auf zerstochenen Unterarmen, verbinde den verstauchten Fuß von Modi und verteile an jeden der »turnboys« (die Mechaniker) ein Valium. Seltsam, wie es mich verwundert, dass auch Schwarze unter Schlafstörungen leiden.
Doch Mohamed bleibt der Star und nährt uns mit einer wunderbar dramatisierten Fassung seines letzten Abenteuers, tief in den Goldstollen Brasiliens. Damit gehen wir schlafen. Jean-Denis hat das Strohbett hergerichtet. Über uns das Moskitonetz und dahinter der Mond. Auf meinem Kurzwellenradio höre ich RFI , den französischen Auslandssender, Charles Aznavour singt gerade »C’était triste de venir«. Ein Glücksgefühl durchzieht mich. Weil ich spüre, wie sehr ich Afrika liebe und wie sehr ich Europäer bin. Diese klare Erkenntnis, sie verschafft das Glück.
Am nächsten Tag erreichen wir Ndele. Als die Polizei an der Dorfgrenze wieder nach meiner Börse greift, halte ich zu. Und erfinde ein Gesetz, sage, dass seit letztem Oktober Deutsche, Portugiesen und Franzosen nichts mehr zahlen müssen. Der Capitaine verschwindet verdutzt in seinem Verschlag und kommt lächelnd zurück, bestätigt mein Gesetz: »Oui, Monsieur, c’est correct.«
In der kleinen Stadt hat die schaurige Mühsal ein Ende. Und das Lustige fängt wieder an. Ich frage einen Zwiebelverkäufer nach dem Weg zum Markt, und der Alte meint, er habe nichts verstanden, da er schlecht höre. Je höher die Temperatur, um so tauber werde er. Da gerade die Mittagssonne brennt, muss ich ihn anbrüllen, um die Richtung zu erfahren. Und lächelnd zeigt Bipo nach links hinten. Die Auskunft stimmt genau. Links hinten gibt es Grapefruits, Limonaden, Bier und die Bar Sazara, wo Steppkes Breakdance üben. Und die Aussichten klingen beruhigend. Die restlichen sechshundertachtzig Kilometer nach Bangui seien brauchbare Schotterstraße, das letzte Teilstück sogar geteert. Und morgen fahre ein Bus in die Hauptstadt, sicher schneller und weniger demoliert als unser Lkw, den Modi unter dem großen Baum an der Avenue des Martyrs (trefflicher Name) aufbocken ließ. Das Getriebe rumort schon wieder, die Windschutzscheibe bröselt, der erste Gang will nicht mehr, alle Scheinwerfer sind blind.
Ich kehre zurück zur Bar, setze mich auf einen Stuhl und finde keine Position, die dem Körper guttut. Jeder einzelne Knochen scheint entzündet. Wie ein wundes Tier drehe ich den Leib in verschiedene Richtungen, um ihn zu besänftigen. Bis ich seltsam quer eine Stellung einnehme, die sogar das Halten eines Buches erlaubt. Und entdecke bei André Gide einen Satz, der genau das liefert, was der besessene Leser vom Lesen fordert: Schönheit und – Bukowski hat das in einem Interview verkündet – eine Schachtel Aspirin. Um die nächsten drei Stunden Leben schwungvoller zu überstehen. Gide schreibt da: »Mein Auge fastete in den letzten zehn Tagen, aber nun öffnet es sich der Sonne, schlendert und betrachtet alles mit Appetit.«
Stunden später treffe ich Ditmar, den Schlosser. Obwohl er den furchtbaren, nach Müsli und Gutmenschen-Latzhose stinkenden Satz »Ich wollte mich noch einbringen in die Dritte Welt« loslässt, erweist er sich als angenehmer, unprätentiöser Zeitgenosse. (Das Wort »noch« soll wohl »noch rechtzeitig« heißen: noch rechtzeitig sich absetzen, bevor einer als komfortsüchtiger Tränensack zwischen Couchgarnitur und Fernbedienung verdämmert.) Vor Ort gibt es eine katholische Mission, er werkt hier seit vierzehn Monaten im Auftrag des Ordens der Spiritaner als Allround-Handwerker, mauert gerade eine kleine Krankenstation. Wie jeder Weiße, den ich traf und der längere Zeit in Afrika lebte, hält er den Kontinent für verloren. Was ihn nicht bremst. Er baut das Haus, es muss her, es muss raus aus ihm. Für die Nacht bietet er Jean-Denis und mir zwei saubere Feldbetten mit Moskitonetz an. Ich nehme dankbar an unter der Voraussetzung, dass er uns zwei Exkatholiken – der Junge wurde vor Jahren zum Islam »bekehrt«, ich vor Jahrzehnten zum Agnostizismus – jedwede Predigten vom wahren und rechten Glauben erspart. Und Ditmar, der tapfere Schlosser, hält Wort. Selig versinken unsere ächzenden Körper in Schlaf.
Der rührige Jean-Denis. Jeden nennt er »mon frère«. Auch dann, wenn ihn seine schwarzen Brüder piesacken. Wie heute, nach den beachtlichen Spiegeleiern zum Frühstück. Plötzlich fällt der lokalen Mafia ein, dass der Zairer neue
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