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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Soden
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Gründerin des Norddeutschen Antiquariats nach der Teilung Deutschlands. Ihre »Herberge des guten Buches«, so titelte wenig später eine Rostocker Zeitung, sprach sich herum. Speziell auch im Ausland. Und schon bald kamen Anfragen nicht nur von den europäischen Nachbarn, sondern auch aus Japan, Island, Australien, Kanada und den USA . In alle Himmelsrichtungen verschickte Lore Neumann ihre Antiquariatskataloge. Dutzende von Titeln bestellte Lion Feuchtwanger aus seinem kalifornischen Exil, um seine von den Nazis zerstörte Bibliothek so weit überhaupt möglich wieder zusammenzufügen.
    Alte Stadtführer und Reiseberichte zu Rostock – das suchen wir heute hier. Auf Platz eins unserer Wunschliste steht Karl Baedekers »Handbuch für Reisende« im legendären roten Einband über »Nordost-Deutschland«. 1892 kam der Renner bereits in der vierundzwanzigsten Auflage heraus, faktenreich und schnörkellos im Stile von: Rostock, alter slawischer Ort, ehemals Mitglied der Hanse, dreizehn Kilometer von der Ostsee entfernt, am linken Ufer der Unteren Warnow, ihre ansehnliche Breite und Tiefe (bis zu fünf Metern ausgebaggert) gestattet mittleren Seeschiffen den Zugang bis zur Stadt. In der Weinstube »Fürst Blücher« empfiehlt der Baedeker »Rheinwein«, im Ratsweinkeller Bordeaux, zum Schluss zählt er auf, »Stadttheater im Sommer geschlossen«, am »Zentralbahnhof« Droschken und elektrische Straßenbahnen, Dampfboote nach Warnemünde im Sommer täglich fünfzehn bis fünfundzwanzig Mal. Auch solche nüchternen Informationen haben ihren Reiz, schnell lesen wir uns fest, erfahren wir, dass sich die Stadt, ähnlich wie Lübeck, ein »altertümliches Gepräge« bewahrt hat.
    Auf einem der Rostockpläne im Baedeker, man kann sie aufklappen, marschieren wir mit dem Zeigefinger zum Rathaus am Neuen Markt, »1265 errichtet, 1365–90 mit Türmchen versehen«, die gotische Fassade, lesen wir parallel in Ricarda Huchs berühmten Städtebildern, wurde 1727 durch einen ausdruckslosen Vorbau verdeckt. Im Rostocker Kapitel der kritischen Beobachterin kommt der Markt dennoch gut weg. Wie einen »geräumigen Saal« empfand die Reiseschriftstellerin das gotische Ensemble, »imposant und gemütlich zugleich«.
    Und heute? Umringt den Markt ein Mischmasch aus restauriertem Mittelalter, sozialistischem Billiglook und Ketten-Bistros. Weit über zweihunderttausend Einwohner hat die Stadt, fünfmal so viel wie Wismar, wie Stralsund, wie Greifswald. Aussichtslos angesichts solcher Dimensionen, Rostocker »mit Fischblut« im Gewimmel zu identifizieren. Anders im Norddeutschen Antiquariat. Dort lebt jener »prächtigste niederdeutsche Schlag«, dem man ein kerniges Wesen nachsagt, in volkstümlichen Studien und Sittengemälden fort. Und wieder lesen wir uns fest. Walter Behrend heißt der Autor, für uns eine Bildungslücke, für Rostocker nicht. Er wurde 1885 an der Warnow geboren und verfasste über das Rostocker »Naturell« köstliche Feuilletons – getrennt nach Rostockern und Rostockerinnen. Was die Männer anbelangt, so stehe bei ihnen der breite Humor als Erkennungsmerkmal ganz obenan. Und da dieser »bekanntlich« (?) aus reichlichem Alkoholkonsum resultiere, neige der Rostocker zu einer gewissen »Dosis von Sentimentalität«, die aber nie unangenehm wirkt. Zur Untermauerung seiner These greift Behrend auf das lateinische humor, genauer umor = die Feuchtigkeit und/oder umere = feucht sein, zurück. Und belegt dies ferner mit »wässrigen Augen«, die nebst roten Nasen in einschlägigen Rostocker Kneipen empirisch beobachtbar sind. Warum der Rostocker auch ohne steife Getränke humorvoll ist, entzieht sich Behrends Analyse allerdings. Addieren wir einfach das Wörtchen »trocken« hinzu, dann hätten wir Spaß ohne Alkohol = ohne umor = ohne feuchte Hände = trockenen Humor. Prost! Alles Fremde, Differenzierte, Fragwürdige lehne der Rostocker ab, konstatiert unser Buchautor, der in den wilden Zwanzigern Feuilletonchef der Münchner Neuesten Nachrichten war, mit unerschütterlicher Energie strebe der Rostocker hingegen klare Ziele an. Komplementär dazu kennzeichne die Rostockerin vor allem hausfrauliche Tüchtigkeit. Zudem sei sie bieder, zweckmäßig gekleidet und derb, ohne jedes »erotisch-leichte, gefällige Air«. Statt auf Leidenschaft und Temperament, rundet Walter Behrend sein Psychogramm ab, könne man aber bei seinen Landsleuten wie bei allen Waterkantlern auf tiefe Treue bauen, komme, was kommt!
    Unser Stöberfieber

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