Lesereise Backsteinstaedte
klingt nicht ab, im Gegenteil, in einem Schränkchen gleich vorn am Eingang zum Antiquariat steigt es noch einmal kräftig an. Ansichtskarten und Leporellos spekulieren da auf unsere Sammellust mit Rostocker Mondscheinbildern, Stadtpanoramen, Warnemünder Kurhaus, Promenade, »Teepott«, Hotel Neptun, schäumender Gischt. Dass man an der Ostsee »hellfarbene Oberkleider« tragen sollte, »für den warmen Strandtag gibt es nichts Praktischeres«, rät ein wilhelminischer Prospekt. 1903 kreuzte der deutsche Kaiser anlässlich einer Regatta in weißer Seglerkluft in Warnemünde auf. Ganz Rostock stand Spalier, schwenkte Wimpeln und Fahnen, Spickaal-Verkäufer schrien sich die Lunge aus dem Hals, Kinder futterten Knackwurst. Walter Kempowski hatte den Hohenzollern-Auftritt als kleiner Junge miterlebt. In seinem Sammelband »Mein Rostock«, den es selbstverständlich auch im Norddeutschen Antiquariat gibt, lesen wir uns schon wieder fest.
Viel Zeit bleibt nicht für einen Stadtrundgang. Doch wie heißt es im Baedeker so schön? »Bei beschränkter Zeit: Blücherplatz, Hopfenmarkt, Marienkirche, Neuer Markt, Wallpromenade, Kröpeliner Tor, Fischerbastion.« St. Marien und Markt können wir streichen, kennen wir schon. Blücher mögen wir nicht. Und die Fischerbastion entfällt, weil sie inzwischen ein Riesenparkplatz ist. Der Rest müsste klappen. Oder auch nicht. Auf alle Fälle nehmen wir den Baedeker »Nordost-Deutschland« von 1892 mit, schreiten zur Kasse und verabschieden uns von Susanne Thorenz. Bis zum nächsten Mal im Norddeutschen Antiquariat, tschüss!
Fenster zum Meer
Auf der Hafeninsel von Stralsund
Noch ist es zu früh, um aufzustehen. Doch wir sind schon wach, wurden von der Sonne geküsst, auf die Nase, auf die Stirn. Nein, kein NDR -Küstenkitschfilm! Sondern Zimmer 1 im Hotel Hiddenseer auf der Hafeninsel von Stralsund. Warum das Hotel »Hiddenseer« heißt, also mit »r« am hinteren Zipfel von Hiddensee? Weil man bei guter Sicht von hier aus die lang gezogene schmale Insel mit ihrem Leuchtturm auf dem Dornbusch sieht! Vor allem aber, weil das Hafenrestaurant nebenan, das zum Hotel gehört, mit liebevoll zusammengetragenen originalen alten Schiffsteilen, Ruderblättern, Positionslampen, Netzen und Netzkugeln Hiddenseer Fischer eingerichtet ist und exklusiv in Stralsund Hiddenseer Pils ausschenkt. Ein Muss zum fangfrischen Boddenzander, Barsch oder Aal! Wie in einer Kajüte fühlt man sich außerdem in den Hotelzimmern. Auf den Vorhängen schaukeln blaue Segler, schwimmen Seesterne, von Messing umrandete Bullaugen auf Schrank- und Badezimmertür verleihen dem Interieur ein maritimes Flair. Die Atmosphäre ist behaglich und gediegen. Fehlt nur der Seegang. Aber der kommt nicht (es sei denn, man guckt zu tief ins Glas), zumal der Strelasund nicht die Ostsee ist, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, sondern ein Meeresarm, ein Boddengewässer, mit vier Metern ungewöhnlich tief, welches die Insel Rügen von der Hansestadt Stralsund trennt.
Noch immer ist es zu früh, um aufzustehen. Vom Bett aus beobachten wir den Verkehr, der in zwölfhundert Metern Entfernung wie winziges Spielzeug über die neue Rügenbrücke schwebt. Um der Gorch Fock guten Morgen zu sagen, müssen wir uns aus den Federn bequemen. Doch ein einziger Schritt zum Fenster genügt, und schon ist das weiße Segelschulschiff mit seiner bewegten Vergangenheit linker Hand in Sicht. Die Rügenbrücke liegt rechts. Im Herbst 2003 war die Gorch Fock nach Stralsund zurückgekehrt. Langsam hatte sie sich auf die enge Fahrrinne zu bewegt. Und als sie ihre Versenkungsposition vom 1. Mai 1945 erreichte, dokumentiert ein Stralsunder Zeitzeuge auf seiner Homepage, tutete es aus einem Nebelhorn zum Gedenken an jenen Tag, als die Gorch Fock von der deutschen Wehrmacht gesprengt worden war. Bevor sie am Kai der Volkswerft festmachte, zog die Gorch Fock am Dänholm vorbei, der »Wiege«, wie es so traulich heißt, der preußischen Marine, mithin des preußischen Militarismus auf See. Bis 1990 war der Dänholm Sitz der DDR -Volksmarine. 1999 bezog das Nautineum, eine Außenstelle des Deutschen Meeresmuseums, auf der Insel im Strelasund Quartier und zeigt dort neben Seezeichen und Schaustücken zur Fischerei das weltweit erste begehbare Unterwasserlabor, 1968 in Lübeck konstruiert. Wochenlang waren Taucher zu Forschungen in den Tiefen der Meere mit dem hummerfarbigen Ungetüm namens »Helgoland« unterwegs. Derweil stand das Segelschulschiff Gorch
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