Lesereise Friaul und Triest
kommunistischen Ortsgruppe von San Giovanni di Casarsa bei und wird ihr Sekretär. Pasolini gilt als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Das macht ihn verletzlich. In jener Zeit entsteht neben Gedichten auch ein Roman, »Amado mio«, die Geschichte einer homosexuellen Liebe. An die Veröffentlichung ist vorerst nicht zu denken. Pasolini lässt sich nicht entmutigen und schreibt an einem weiteren Buch, »Il sogno di una cosa« (»Der Traum von einer Sache«), den er später überarbeitet. Auch er hat das Friaul und das ländliche Leben mit all seinen Freiheiten und Zwängen zum Thema.
Den langen Arm der Kirche spürt Pasolini, als man ihm im Sommer 1949 erstmals droht. Man könne ihn vernichten, als Homosexuellen und Kommunisten, bekommt er hinter vorgehaltener Hand zu hören. Doch Pasolini will es nicht glauben. Und dann, am 30. September 1949, der inzwischen legendäre Vorfall von Ramuscello: Pasolini trifft auf einem Kirchtag einen Burschen und dessen beide Freunde. Die vier verschwinden im Gebüsch. Wenige Tage später wird er bei den carabinieri von Casarsa wegen Verführung Minderjähriger und Unzucht in der Öffentlichkeit angezeigt. Er habe, gibt er bei der Vernehmung zu Protokoll, »unter dem Eindruck einer Lektüre – eines Romans mit dem Thema Homosexualität – eine erotische und literarische Erfahrung machen wollen«. Doch selbst der Nobelpreisträger Gide, auf den er sich bezieht, kann ihn nicht retten. Der Wachtmeister informiert seinen Vorgesetzten, und der läuft zum Schulamt und zur Presse. Auf dem Marktplatz von Casarsa ergötzen sich die Zeitungsausrufer an ihrer Macht: Man hat einen Skandal, und der wird lauthals verkündet.
Pier Paolo, beliebt und als politischer Visionär geschätzt, schlagen plötzlich Unverständnis, Häme und Hass entgegen. Er wird aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen und verliert seine Stelle. Die Familie gerät finanziell in Bedrängnis, Pier Paolo wird geächtet. Er wartet auf seinen Prozess, ist am Rande des Selbstmords.
Am 28. Januar 1950 nehmen Pier Paolo und Susanna Pasolini den ersten Zug nach Rom. »Falls ich jemals Lebenskraft besessen habe, fühle ich sie nun wie einen neuen Anzug.« Die neue Kleidung stärkt ihm den Rücken. Am 28. Dezember 1950 wird Pasolini vom Vorwurf, Minderjährige verführt zu haben, freigesprochen. Verurteilt wird er wegen obszöner Handlungen in der Öffentlichkeit. Doch im Berufungsverfahren, das am 8. April 1952 in Pordenone stattfindet, spricht man ihn wegen Mangels an Beweisen frei.
Ein Zurück ins Friaul scheint dennoch ausgeschlossen. Pasolini avanciert in Rom zum gefeierten Autor und Regisseur. Gleichzeitig wird er angefeindet, weil er dem italienischen Staat mit seinen faschistoiden Zügen einen Spiegel vorhält und für jene einsteht, die nicht in die gesellschaftlichen Normen passen. Er macht Karriere, wird zum international bejubelten Star. Allein in Casarsa beobachtet man sein Tun scheelen Blickes. Pasolini kehrt selten und nur kurz dorthin zurück, einmal sogar in Begleitung von Maria Callas, der Diva mit Pelz und Sonnenbrille. Der Triumph des Ausgestoßenen? Nur kurz. Pasolini weiß um seine Ambivalenzen: Er verachtet die Borniertheit der Bewohner von Casarsa und spürt doch, was er diesem Landstrich verdankt, als Mensch und als Künstler.
Ein Spaziergang durch Casarsa wird zur Spurensuche. Via Pasolini 4, Centro Studi Pier Paolo Pasolini in der ehemaligen Casa Colussi. Sie beherbergt heute eine Ausstellung zu Pasolinis Zeit im Friaul: mit liebevoll präsentierten Zeichnungen und Bildern, mit Fotos, Autografen und Dokumenten. Auch sein früheres Zimmer ist zu besichtigen, darin ein einfacher Holzschreibtisch, an den Wänden eine blau-rot gestreifte Tapete – die Farben von Pasolinis Lieblingsclub Bologna. Von hier aus führt ein Weg weiter zu den Stationen von Pasolinis Biografie. Die Kirche Santa Croce mit jener Tafel, die an die Invasion der Türken des Jahres 1499 erinnert – Stoff für Pasolinis Theaterstück »I turcs tal Friúl«, das im Mai 1944 entstanden ist. Die Reste des kleinen Hauses in Versutta, in dem Pier Paolo und Susanna während des Krieges gewohnt haben und wo er die Academiuta di Lenga Furlana gegründet hat. Die Chiesetta di Sant’Antonio Abate in Versutta, deren Fresken den Dichter so fasziniert haben. Er habe sie, so erzählt man sich, mit rohen Zwiebeln abgerieben, um sie zum Strahlen zu bringen und sie so seinen Schülern zu zeigen. Die Loggia in San Giovanni, Sitz der
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