Lesereise Friaul und Triest
Kommunalverwaltung: Entlang der Wände wurden die Nachrichten der politischen Parteien affichiert. Für diese Wandzeitung hat auch Pier Paolo regelmäßig Texte geschrieben. Die steinigen Fluss- und Uferlandschaften des Tagliamento, die Felder, die Kapellen, die Brunnen.
Wenn der Abend versinkt in den Brunnen,
trägt mein Dorf verlorene Farben.
Ich bin fern, ich erinnre mich an seine Frösche,
an den Mond, an das traurige Zirpen der Grillen.
Es läutet zum Rosenkranz, es verhallt in den Wiesen:
ich bin gestorben beim Klang der Glocken.
Fremdling, bei meinem sanften Flug übers Land
hab keine Angst: ich bin ein Geist der Liebe,
der aus der Ferne heimkehrt zu seinem Dorf.
Verse aus dem Gesang der Glocken. Hinter einer Mauer am Rand von Casarsa versteckt sich der Friedhof. »Leichenbegängnis im September. Trauerfeier in Casarsa«, schreibt Pasolini in einem seiner Feuilletons. »Männer in Sonntagsanzügen und alte Frauen mit den Kopftüchern und den schwarzen Röcken. Der geschäftige Pfarrer kommt aus der Menge heraus, die Leute sprechen leise, mit einer Gruppe von kleinen Ministranten, gekleidet wie er in weiße Kutten mit schwarzen Verzierungen. Kerzen und Kreuze. Die Gruppe verschwindet in dem Portal. Es regnet bei hellem Sonnenschein.«
Pier Paolo Pasolini, in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 am Strand von Ostia ermordet, liegt neben seiner Mutter Susanna begraben, beschützt von zwei weißen Marmorplatten. Es ist ruhig, niemand zu sehen, die Toten schlafen, man lässt sie in Frieden. Einmal – ja einmal, an jenem 5. November 1975, als man Pasolini in Casarsa zu Grabe trägt, ist die Welt hier eingebrochen. Verwandte, Freunde, Neugierige, Journalisten und Fotografen folgten dem Sarg Pasolinis, als er von Santa Croce quer durch die Stadt zu seinem Grab getragen wurde. Der Friedhof konnte die Menschenmassen nicht fassen.
Der verlorene Sohn ist heimgekehrt. Diesmal bleibt er. Der Schatten eines Lorbeerbaums fällt auf die Grabtafeln. Erst seit Besucher aus aller Welt hierher pilgern, um seinen Spuren zu folgen, versöhnt sich Casarsa langsam mit dem Toten. Man schließt ihn zögernd in die Arme. Dort wird er hoffentlich bleiben.
Auf der Terraferma blüht’s
Bühnenlandschaften: Villen und Gärten der Venezianer
Da stellt man den Menschen eine Stadt hin, wie sie moderner und schöner nicht sein könnte, und dann will niemand hin. Neue Häuser, ein ausladend großer Hauptplatz mit einem prächtigen Dom, ein Wall mit Befestigungsanlagen, die für Sicherheit sorgen, wie kaum anderswo. Alles umsonst. Die Venezianer schütteln den Kopf. Palmanova gilt als architektonisches Juwel, modern, funktional, sicher. Und nun das.
Über viele Jahrhunderte hinweg hat sich die Serenissima um die Eroberung des Friaul und strategische Stützpunkte auf der Terraferma bemüht, nach 1420 wähnt man sich endlich am Ziel. Nun gilt es, das Land zu regieren und gegen Feinde zu verteidigen. Als Venedig am 7. Oktober 1593 beschließt, den Grundstein für Palmanova zu legen, hat man große Ambitionen. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, die Planung ist ein Meisterwerk italienischer Spätrenaissance. Von einem großen sechseckigen Hauptplatz – die Zahl sechs leitet sich von den sestieri Venedigs ab, den sechs Vierteln – gehen die Straßen ab, verjüngen sich nach außen hin und laufen auf die neunzackige Stadtmauer mit ihren Toren und Bastionen zu. Hohe Erdwälle umschließen das minutiös durchdachte Gefüge, das sich wie ein Stern in die Landschaft hinausreckt.
Natürlich müssen hier Generäle wohnen, die Stadt ist befestigt wie kaum eine andere. Auch an Soldaten und ihre Familien ist gedacht, aber natürlich auch an Zivilisten. Gut zwanzigtausend Menschen könnten hier leben – und wollen es nicht. Venedig hat zu kämpfen, die neuen Häuser zu füllen. Und so geht man daran, Strafgefangene freizustellen und sie nach Palmanova zu verschicken. Doch so sehr man sich auch bemüht: Sehr viel mehr als fünftausend Einwohner hat die Stadt nie bekommen.
Palmanova ist ein Paradies für Kinder. Auf der Piazza Grande jagen sie den Vögeln hinterher und flitzen mit den Rollerblades und Skateboards um die Wette, während ihre Eltern langsam um den Platz flanieren. In den Cafés und gelaterias blüht der Tratsch, man tauscht Nachrichten aus, vom totocalcio bis zu den Berichten von der festa della mele , alles Apfel. Hier ist gut sein. Und doch liegt ein seltsamer Schatten über der Stadt. Die Weite der piazza wirkt
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