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Lesereise - Inseln des Nordens

Lesereise - Inseln des Nordens

Titel: Lesereise - Inseln des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Schaefer , Rasso Knoller
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sibirische Lärchen, sagt Jón kurz angebunden, und das ist sonst so gar nicht seine Art. Am Tag zuvor hörte er gar nicht mehr auf mit Erklärungen, wusste auf Deutsch die Namen aller Pflanzen, nach denen wir fragten, und noch viele mehr. Am Tag zuvor, als wir nach einem Spaziergang über das aus den Spalten noch schwefelig atmende Lavafeld der Krafla wieder auf festen, alten, bewachsenen Boden traten, da sollten wir uns bücken, um die Bäume anschauen zu können: Zwergweiden, Zwergsträucher; nur Zentimeter hoch wird dieser isländische Bonsai-Wald, was ihn nicht hindert, ein farbenprächtiges Herbstkleid anzulegen. Besonders apart macht sich das im Kontrast zu schwarzen Lavafeldern.
    Gesprächig war Jón auch bei der Fahrt übers Hochland; in seinem komfortablen Allradwagen wogten wir wie in einem Schiff über die öde Weite des Landesinneren. Öde nur dem flüchtigen Blick. Jón erzählte von den Zeiten, als Island rundum bewaldet war, bis auf vierhundert Meter Höhe. Dort fängt auf Island das Hochland an. Früher gab es im Landesinneren ausgedehnte Weideflächen, kahl gefressen durch Schafe und Pferde. Er machte uns auf regelmäßige grüne Streifen aufmerksam, die sich parallel über die steinigen Hügel hinzogen, Land art von Künstlerhand. Begrünung vom Flugzeug aus, um aus der Steinwüste wieder Weiden wachsen zu lassen.
    Oder an jenem Tag, als wir zu dem Wasserfall Aldeyjarfoss hinunterstiegen. Es regnete, von unserem Aussichtsplatz aus machten wir nur ein paar schnelle Fotos von schwarzen und weißen Säulen: Von den eckigen Basaltpilastern, denen die Kraft der herabstürzenden weißschaumigen Wassersäulen all die Jahrtausende nichts hatte anhaben können. Die struppigen Gräser, die aus den schwarzsandigen Hügelchen ragten, wären uns gar nicht aufgefallen. Strandhafer, begeisterte sich Jón. Das Beste, um den Boden festzuhalten. Auf der Weiterfahrt übers Hochland entdeckten wir ganze Felder dieser anspruchslosen Pflanze. Daneben weideten Schafe und Pferde, gemeinsam. Vom Hafer trennte sie Stacheldrahtzaun, büschelweise hingen an diesem weiße Wollfetzen, an denen der Wind heftig zerrte. Die Pferde, von denen manche nicht sehr viel größer waren als die Schafe, schienen gar nichts zu sehen. Die Zottelmähne hing ihnen über die Augen.
    Jón wusste viel über Islands Tiere und Pflanzen, im Sommer arbeitet er als Reiseleiter, eigentlich ist er Grafiker und Naturschützer. Wenn Jón nicht von Flora und Fauna sprach, dann von den Bewohnern Islands, von dreihunderttausend sichtbaren und all den anderen. Glaubt man Jón – wobei wir nicht herausfinden konnten, ob Jón selber daran glaubte –, ist Island, das uns bei der Fahrt übers Hochland so menschenleer erschien, ziemlich dicht bevölkert. Elfen, Trolle, Wiedergänger … und nicht zu vergessen die Götter der »Edda«.
    Jón kannte Geschichten, die bis in die Zeit der Besiedelung Islands um die Jahrtausendwende zurückreichten. Auch diese älteste Vergangenheit scheint für Isländer nicht lange zurückzuliegen, Jón kann seinen Stammbaum zurückverfolgen bis in die Zeit um 700, bis nach Norwegen. Im Halbschlummer und hinter den vom Regen und aufspritzendem Wasser verschmutzten, blickdichten Autoscheiben vermischten sich für uns Sagas, Sagen, Märchen und Schauergeschichten. Zumal sich all das bei Jón nicht anders anhörte, als wenn er von Gräsern und Grasmücken sprach. Uns gruselte ein bisschen. Dass auch wir schon als Kinder isländische Literatur gelesen hatten, fiel uns wieder ein, als uns Jón das Haus von Jón Svensson in Akureyri zeigte. Mit seinem jugendlichen Romanhelden Nonni hatten wir nägelkauend vor Aufregung Abenteuer auf Island überstanden, erstmals von Vulkanausbrüchen, Eisbären und kämpfenden Stieren erfahren.
    Viel hat uns Jón erzählt, von Trollen und Elfen und versteckten Leuten, die in Felsen wohnen, von Natur und Literatur. Und endlich rückt er damit heraus, was er gegen dieses Wäldchen am Mückensee hat. Importierte Gewächse seien das, das Geld wäre viel besser angelegt in Strandhafer und in den Samen, die aus den Flugzeugen übers öde Hochland regnen. So findet er auch die Aktion »Pflanze einen Baum in Island« nicht sinnvoll. Und dann kolportiert er noch eine Bosheit über den »Wald der Freundschaft«. Dort, neben dem Alþing -Platz, pflanzen Staatsbesucher einen Baum, wenn sie nach Island kommen. »Der Platz ist für einen Wald gar nicht geeignet«, grinst Jon. Jedes Frühjahr, wenn die Winterstürme

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