Lesereise - Inseln des Nordens
werden. Mal regnet es, mal nicht, mal scheint die Sonne, mal nicht.
Aber nun sitzen wir unterm Regenbogen des Gullfoss und haben den Wasserfall, die Gischt und das Toben ganz für uns allein. Islands Erde atmet Donner, Hölle und Urgewalten, Wasser schäumt weiß in den schwarzen Schlund von Lavagestein, vereister Nebel liegt auf Grashängen. Wasser fällt und steigt auf, als wäre die Schwerkraft aufgehoben, ein Tosen und Toben, als würde ein Gott seit Jahrtausenden zürnen. Nichts Versöhnliches, nichts Liebliches bietet Island als Trost an. Vielleicht eint deshalb die Isländer der Hang zum Kuschligen, zu Puppenstubenhäusern und zum Licht, das in Wohnzimmerfenstern steht und hinausleuchtet in die raue Natur.
Ein Rasthaus an der Ringstraße will uns der Fahrer noch zeigen, es gilt als Sehenswürdigkeit. Es ist in einem großen Gewächshaus untergebracht, in dem Palmen stehen und Philodendren, Rosenstöcke, kleine Bäume sogar. Abzocke, meutern Reisende, ob der Fahrer Prozente bekomme, wenn er hier anhalte. Sie verstehen nicht: Auf Island ist das eine Attraktion. Hier drinnen ist es warm, und es wächst anderes als Strandhafer und Alaska-Lupine. Hier gilt einmal mehr: Was dem Einheimischen eine Sehenswürdigkeit, ist für den Besucher oft genau das nicht. Wer will schon im Oman einen dünnen Wasserlauf sehen, den sie Bach nennen, wo doch die Wüste der Grund ist, warum der Tourist in das ferne Land reist? Doch der Einheimische hat die Wüste alle Tage vor der Nase, ihn dünkt sie banal. Wie dem Isländer seine wilde Insel.
B. S.
Earth, wind and fire
In, auf und über Island
»Für ein Mädchen nicht schlecht«, sagt Robert. Anette hat den Land Rover samt sieben Meter langem Anhänger rückwärts gewendet. Robert hat einen Scherz gemacht – denn Anette ist nicht der Typ Frau, den Beifahrer ungestraft schräg anquatschen. Robert ist Ballonpilot und möchte auf dieser Pioniertour testen, ob Island sich für Ballonreisen eignet. Immer wieder lässt er Versuchsballons steigen, gasgefüllte Kindergeburtstagsluftballons. Einer treibt aufs Meer hinaus, einer zieht auf den Gletscher, und einmal muss Robert vor dem Angriff der Skuas zurück ins Auto fliehen; die isländischen Raubmöwen verteidigen ihr Brutgebiet mit Verve. Keine guten Bedingungen für einen bemannten Start. Zumal sich das Islandtief einfach nicht auf seinen Weg zum Kontinent machen will. Es hängt über dem Vatnajökull, Europas größtem Gletscher, saugt sich fest an den wüstenhaften Ebenen des Landesinneren, stülpt sich über die ausgefranste Küstenlinie, überschwemmt uns, bläst uns die Ohren voll und lässt die Knochen klappern. Vor allem aber hindert es uns, das zu tun, weshalb wir nach Island gekommen sind. Denn was Anette auf dem Hänger hinter sich herzieht, sind wunderbare Sportgeräte: Mountainbikes und Kajaks. Und im zweiten Hänger ruht ein Heißluftballon.
So vom Wind durchgeschüttelt, verplätschern wir einen Nachmittag in der Blauen Lagune. Ein euphemistischer Name für ein Bad im Abwasser eines Kraftwerks, aber schließlich gibt es keine sauberere Energiequelle als die Geothermik. Vor der surrealistischen Kraftwerksanlage schmieren wir uns im warmen, leicht schwefeligen Wasser gegenseitig Schlamm ins Gesicht; Peeling auf isländische Art.
An einem anderen Tag fahren wir an einem mäandernden Fluss entlang. »Wir paddeln«, funkt Robert ins zweite Auto. Ruckzuck sind die Kajaks vom Hänger geladen, die Neoprenanzüge ausgepackt. Zwei wagen sich mit stabilen Seekajaks hinaus, der Fotograf schubbert mit seinem minkwalförmigen Ungetüm los, in das die gesamte Fotoausrüstung passt, zwei tapfere Recken stechen mit schnittigen Wildwasserkajaks hinaus. Einer will stromschnellenaufwärts paddeln – und schwupps. Das Kajak kippt, ohne Neoprenanzug wäre das gewiss kein Spaß, auch so scheint er sich in Grenzen zu halten.
Feuer, Erde, Wasser, Luft – Island wirft mit den Elementen nur so um sich. Zum Greifen und Begreifen nah, körpernah. Feuer: Im Krafla-Gebiet knirscht unter unseren Sohlen metallisch schillernde Lava – ganz frisch! 1984 spuckte der Leirhnjúkur vor sich hin, mimte für Erdaltersekunden den feuerspeienden Berg. Wenn man mit den Händen in den schmirgeligen Steinen gräbt, atmet der Boden Wärme aus. Wie dick wohl die Erdkruste über dem Feuer ist, auf der wir hier spazieren?
Erde. Stundenlang fahren wir durch schwarze Lavawüste. Herrlich monochrom. Unterbrochen von Quellmoos, das quietschgrün jedes
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