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Lesereise - Inseln des Nordens

Lesereise - Inseln des Nordens

Titel: Lesereise - Inseln des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Schaefer , Rasso Knoller
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herunterprescht und eine fast zwei Meter lange Sattelrobbe hinter sich herzieht. Frederik Broberg, blond und blauäugig, strahlt aber über das ganze Gesicht. Eine so große Robbe hat der dreißigjährige Jäger lange nicht erlegt. Sein Vater ist alt und kann nicht mehr jagen, Frederik ernährt die Großfamilie. Außer als Jäger und Fänger arbeitet er bei der Staatlichen Handelskette KNI , die die Versorgung auch der kleinsten Wohnplätze garantiert. In den drei bis vier eisfreien Sommermonaten füllen Schiffe die Tiefkühltruhen Grönlands. Den Rest des Jahres wird die Eisinsel aus der Luft versorgt.
    Frederik lenkt sein Hundegespann durch das Dorf bis zu einer zugefrorenen Bucht und bindet seine Hunde an. Der blonde Grönländer sieht zwar aus wie ein Wikinger, spricht aber nur wenig Dänisch. So erklärt er mit Händen und Füßen und auf Grönländisch, wie er das Riesentier erlegte. Er schoss den Seehund, dann zog er ihn aufs Eis und schleppte ihn hinter seinem Schlitten ins Dorf. Die Jagdmethoden seiner Ahnen unterschieden sich davon kaum; um die Jahrhundertwende hat Daniel Jacobsen diese auf Aquarell-Zyklen dargestellt, die jetzt im Museum hängen. Eines zeigen die Bilder deutlich: Die Jagd hatte nie etwas gemein mit der kanadischen Robbenschlächterei. Das musste Greenpeace einsehen – und entschuldigte sich bei den Grönländern für die pauschale Kampagne gegen Seehundjagd.
    Methodisch zerteilt Frederik das erlegte Tier; er schwitzt, dass ihm fast die Brille von der Nase rutscht, obwohl die Temperatur am Abend auf minus zehn Grad gefallen ist. Viel Blut versickert im Schnee. Frederik schichtet den Großteil des dunklen Fleisches in eine ausgediente Tiefkühltruhe. Dann erst wirft er seinen Hunden, die während des Gemetzels heulend an den Ketten zerrten, große Brocken zu. Der Fleischvorrat ist sein Hundefutter bis zum Sommer, die Robbe war zu alt und zäh für ihn und seine Familie. Da außerhalb Grönlands niemand Jacken oder Stiefel aus Robbenfell trägt, schneidet Frederik die Tierhaut in breite Streifen. Damit wird er im Sommer Haifische ködern, ebenfalls Hundefutter. Die Krallen verkauft er an einen Souvenirhändler; dreihundert Euro wird er dafür bekommen. Neunzehn Wale wurden im vergangenen Jahr in Qeqertarsuaq gefangen, achtunddreißig Robben hat Frederik an Land gezogen, Essen für seine drei Kinder. Was werden die einmal werden? »Jäger«, sagt Frederik stolz und fügt an: »Hoffentlich.«
Karl Iversen
    Die Kälte hat einen großen Vorteil: Nordlicht wabert in dieser Nacht über den Himmel. Grünliche und bläuliche Vorhänge wehen übers Firmament, manchmal mit gelben Momenten. Dafür nehmen wir gerne in Kauf, dass uns tagsüber auf dem Hundeschlitten die Wimpern vereisten, sich verhakten und zusammenfroren. Sogar Karl, unser Hundeschlittenführer, zog manchmal seine Handschuhe aus und wärmte sein Gesicht mit bloßen Händen. Nun sitzen wir in einer Jägerhütte am zugefrorenen Fjord. Minus zwanzig Grad, das ist sehr kalt. Nein, sagt Karl, es ist kalt. Manchmal habe es minus dreißig oder minus fünfundvierzig Grad, das sei sehr kalt. Wir wollen da nicht streiten, wir glauben Karl. Karl Iversen und sein Freund Nils Karl Matthiesen führen uns vier Tage lang mit ihren Hundeschlitten durch die grönländische Natur. Am Tage haben wir bei ihren Fischplätzen haltgemacht. Mehrere Hundert Meter lange Fangleinen baumelten unter der meterdicken Eisschicht, Fisch um Fisch zogen sie heraus, entwirrten die Leinen mit der Geduld einer Spitzenklöpplerin. Platte Rochen schienen auf dem Eis liegend noch um sich zu blicken, andere Fische sahen aus wie riesige Kaulquappen, ihr grönländischer Name klang so ähnlich; und jeder zweite ein Heilbutt. Karls Bruder Knud stand daneben, er packte die Beute auf seinen Schlitten, um sie nach Ilulissat in die Fischfabrik zu bringen. Ein Heilbutt wurde gleich gefriergetrocknet, er hing nur kurz an einer Stange und war bereits durchgefroren. Nils knabberte daran herum, auf Grönländer Art: Er steckte ein Ende von einem großen Stück des weißen reinen Fleisches in den Mund, hielt es mit der einen Hand fest und säbelte mit der anderen den Rest ab. Das ist so praktisch, dass man sich wundert, warum andere Völker Teller und Gabel brauchen. Grönland-Sushi.
    Einen Butt steckte Karl in den Beutel, der an seinem Schlitten hängt. Der Fisch schwimmt nun am Abend zerlegt in einem Topf auf dem Primuskocher, mit Reis und tiefgefrorenem Gemüse aus der Supermarkttruhe.

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