Lesereise - Inseln des Nordens
wurde«. Die Sage hat ihre Wurzeln offensichtlich in grauer Vorzeit, als die Vorfahren der Grönländer mit den amerikanischen Ureinwohnern in Kontakt standen. Obwohl der unwirtliche Osten Grönlands erst sehr spät besiedelt wurde, hat sich diese Sage durch mündliche Überlieferung erhalten.
Die Güter dieser Welt seien sehr ungleich verteilt, schrieb Fridtjof Nansen einmal. Einigen Völkern werde es leicht gemacht, »sie können in ihrer Jugend einen Brotfruchtbaum pflanzen und sich damit für den Rest ihres Lebens versorgen, während anderen offenbar alles, außer der Kraft zu kämpfen, versagt ist und sie der feindlichen Natur Schritt für Schritt alles, dessen sie zum Leben bedürfen, erst abtrotzen müssen«. Nansen hatte 1888 das grönländische Inlandeis auf Skiern durchquert, er setzte sich stets für die Kultur der Inuit ein. In seinem Buch »Eskimoleben« schrieb er, das Eskimovolk liefere den besten Beweis für die Begabung des Menschen, sich den Verhältnissen anzupassen und sich über die Erde zu verbreiten. »Der Eskimo bildet den äußersten Vorposten gegen die Leere des ewigen Eises.«
Um das Jahr 1000 bildeten fortschrittlichere Inuit im Norden Grönlands mit der Thule-Kultur wieder so einen Vorposten, sie waren bessere Jäger als ihre Vorfahren und gelten als Vorläufer der heutigen Grönländer. Ungefähr zur selben Zeit landeten die ersten Weißen an den südlichen Küsten der Insel – und obwohl sie sich mildere Landstriche zur Besiedelung aussuchten, scheinen sie weniger gut mit dem harten Leben am Polarkreis zurande gekommen zu sein.
Nordnorwegen, gegen Ende des ersten Jahrtausends: Die Sippe von Thorvald und seinem Sohn Erik muss wegen Totschlags auswandern und geht nach Island. Doch Erik der Rote bekommt erneut Streit und erschlägt einige seiner Gegner. Wieder flieht er, wieder geht er weiter nach Westen. Drei Jahre lang erforscht er die Fjorde der Rieseninsel, entdeckt fruchtbare Ufer und beschließt um das Jahr 1000, hier zu siedeln. Um weitere Siedler anzulocken, nennt er die Insel »Grönland« – Grünes Land. Fünfundzwanzig Schiffe verlassen Island, beladen mit Menschen, Vieh, Hunden und Hausrat, vierzehn Schiffe erreichen ihr Ziel.
Im Gegensatz zur Jägerkultur der Inuit waren die Isländer Bauern, sie errichteten Höfe, jagten jedoch auch. Beliebt war der Narwal, sein Horn sowie Walrosszähne lieferten die Kolonialisten als Steuern nach Rom. Denn ab etwa 1125 gab es in Garðar den ersten grönländischen Bischofssitz. Das Amt war nicht sehr beliebt, immer wieder musste die grönländische Gemeinde jahrzehntelang ohne Kirchenoberhaupt auskommen. In der Blütezeit der Wikingerkolonie auf Grönland, etwa um das Jahr 1400, lebten auf zweihundertachtzig Höfen rund viertausendfünfhundert Nordmänner. Doch damit war der Zenit überschritten. Die Wikinger verschwanden, fünfhundert Jahre nachdem sie in Grönland gelandet waren, verlieren sich ihre Spuren.
Die Forschung streitet noch: Vielleicht gab es eine kleine Eiszeit, vielleicht wurden sie von den von Norden herandrängenden Inuit vertrieben, vielleicht hätten aber auch die Wikinger einfach Lampenlöschspiele veranstalten sollen wie die Inuit, die dabei den Frauentausch vornahmen und sich so vor Inzucht schützten. Eine Vermischung der Normannen mit den Eskimos scheint es jedenfalls nicht gegeben zu haben.
Doch bald wurde Grönland wieder einmal entdeckt. Auf der Suche nach der Nordwestpassage, die nördlich des amerikanischen Kontinents nach Asien führen sollte, stießen Forscher immer mal wieder an die Küsten der eisigen Insel. Mancher, wie 1580 der Engländer Martin Frobisher, wusste dabei nicht einmal, dass er vor Grönland kreuzte. 1614 wurde erstmals wieder ein Europäer auf Grönland beerdigt: James Hall, Seiner Dänischen Majestät Lotse, begleitete ein Schiff nach Grönland. Als es in eine Bucht einfuhr, erkannten die Inuit in ihm denjenigen, der bei einer früheren Expedition vier Ureinwohner entführt hatte, um sie in Europa herumzuzeigen. Sie harpunierten ihn. Im 17. Jahrhundert war das Meer um Grönland rot vor Blut: Europas Walfänger jagten hier nach den Meeressäugern, die sie um Island bereits ausgerottet hatten.
Im frühen 18. Jahrhundert erinnert man sich in Europa an die Christen auf der größten Insel der Erde, der dänische Pastor Hans Egede macht sich auf die Suche nach den verlorenen Schäfchen. Mit seiner Frau und vier Kindern landet er 1721 an der Westküste, in Ermangelung von Europäern
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