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Lesereise - Inseln des Nordens

Lesereise - Inseln des Nordens

Titel: Lesereise - Inseln des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Schaefer , Rasso Knoller
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Ilulissat-Gletscher ins Meer, schickt jährlich fünfzehn Kubikkilometer Gletscher auf die Reise, eine unübersehbare Menge weißer und blauer und weißblauer Riesengebirge. Das Sonnenlicht flirrt auf den kaltglühenden türkisfarbenen Adern. Wie Aquamarine mit Einschlüssen von Saphiren leuchten die Quader und Klötze. Der muss schon ein rechter Eisblock sein, der bei diesem Anblick nicht dahinschmilzt! Man kann ja behaupten, das grelle Sonnenlicht sei schuld an den feuchten Augen. Grönlands Eisnatur ist maßlos in ihrer Schönheit. Sie überrumpelt den Reisenden, nimmt alle Sinne in Anspruch.
Johanne Olsen
    »Ein Afrikaner in Grönland«, so hieß einmal ein Buch. Johanne Olsen hat den Spieß umgedreht, »Ein Eskimo in Afrika« könnte die Geschichte heißen, die sie erzählt: »Als unsere älteste Tochter Parnuna sechzehn Jahre alt war, haben wir sie für ein Jahr nach Ghana geschickt.« Johanne Olsen ist zweiundvierzig Jahre alt, hat schwarze Haare, olivfarbene Haut und schmale dunkle Augen. Sie sitzt aufrecht auf dem Ledersofa ihres Hauses am Ortsrand von Ilulissat. 1982 zog sie mit ihrer Familie aus Südgrönland in die Stadt in der Diskobucht. Ihr Mann Gustav arbeitet bei der Polizei, Johanne ist Lehrerin für Dänisch und Englisch. Ihre Tochter sollte gut Englisch lernen, außerdem wollte Johanne, dass Parnuna »erfährt, was es heißt, richtig arm zu sein«. Die Olsens zählen mit zwei festen Einkommen zu den wohlhabenden Grönländern. Davon zeugen Fernseher, Stereoanlage, Computer und ein Einfamilienhaus, das vollgestopft ist mit Medaillen und Pokalen. Vier Mal in der Woche marschiert die Familie in die Turnhalle: Badminton und Handball – dem verdankt Johanne ihre muskulösen Arme, ihre aufrechte Haltung und die Sicherheit, dass ihr Mann abends nicht lallend in der Grillstube über Geldspielautomaten hängt.
    Seit die Missionare die Inuit tauften, tragen sie skandinavische Namen, das ist bei den viertausend Bewohnern von Ilulissat nicht anders. Aber die Kinder von Johanne heißten Parnuna, Ivalo und Aputsiaq. »Weil wir Grönländer sind«, sagt Johanne resolut, habe sie Inuit-Namen gewählt. Ivalo ist die Bezeichnung einer Sehne, mit der Kamiken, Fellstiefel, genäht werden. Aputsiaq bedeutet »kleiner schöner Schnee, der fällt«, so war das Wetter bei der Geburt ihres Sohnes. Parnuna heißt nach einem Eskimomärchen und dem Namen eines roten Felsens. Eine junge Frau saß dort und sah, wie ihr Mann mit dem Kajak kenterte. Da wollte sie nicht mehr leben und sprang ins Meer. Ist das nicht ein trauriger Name für ein Mädchen? Nein, protestiert Johanne, das sei doch die Geschichte einer großen Liebe.
    Johanne hat viel von der Welt gesehen. Alle zwei Jahre fährt sie mit ihrer Familie in den Urlaub, in der Wohnung liegen Teppiche aus der Türkei, an der Wand hängen Souvenirs aus Europa, in Kanada traf sie sich mit alten Inuit, die fast dieselbe Sprache sprechen. Aber woanders als in Grönland wollte sie nie leben, am wenigsten in Dänemark. »Ein flaches Land, Häuser und Bäume und sonst nichts.« Langweilig sei das, sagt Johanne. »Ich muss das Meer sehen und die Eisberge, jeden Tag.«
Frederik Broberg
    Vor Lyberth’s Butik flaniert der Sonntags-Schlendrian. Nur allmählich beleben sich die Straßen, denn am Abend zuvor gastierte eine grönländische Hardrockband in Qeqertarsuaq. Solch kulturelle Highlights sind rar auf der Diskoinsel, die unweit von Ilulisaat im eisigen Meer liegt. Um halb fünf torkelten die letzten Gäste aus dem Lokal. Da fielen schon die ersten Sonnenstrahlen auf die Eisbergkette vor der Insel. Nun ist ein strahlender Frühlingstag, Frauen in Robbenfelljacken schieben Kinderwagen, mit Rädern oder Kufen. Kinder ziehen Schlitten über die verschneite Hauptstraße. Die Zeit tröpfelt dahin wie Schnee, Ende März wird es bis zu null Grad Celsius warm. Autos fahren wenige, Motorschlitten düsen hinaus zu einer erhöhten Landzunge mit wunderbarem Blick über Packeis, Eisberge, einen schmalen Streifen offenen Meeres und auf Wale. Whalewatching gehört allerdings nicht zur touristischen Angebotspalette der Diskoinsel. Qeqertarsuaq war zu allen Zeiten ein Walfängerort. Schon die erste Inuit-Besiedlung lebte von der Jagd auf Meeressäuger, und nachdem die Europäer dem Walbestand rund um Island den Garaus gemacht hatten, dehnten sie um 1700 ihre Jagdgründe nach Grönland aus.
    So kommt es, dass Frederik nur wenig Aufsehen erregt, als er mit seinem Hundeschlitten die Straße

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