Lesereise - Inseln des Nordens
ihrem dänischen Mann in Grönland. Ole ist Zahnarzt, Kaja war Kommunalpolitikerin und Journalistin und fertigt seit zwölf Jahren Schmuck aus grönländischen Steinen. »Einen richtigen Garten«, das sei das Einzige, was sie hier je vermisst habe. Die Kälte hat sie nie gestört, doch um es als Nichtgrönländer so lange auszuhalten, müsse man »schon ein bisschen anders als normale Leuten sein«. Dazu gehört, dass Kaja grönländisch spricht, das können wenige der Dänen in Grönland. Es sei eine Schande, wenn man es nicht wenigstens versuche, entrüstet sie sich.
Nun kennt sie hier alle, will sie »wegen sechs Eiern zum Einkaufen, dauert es zwei Stunden«. Wenn es eilt, schickt sie lieber ihren Mann. Kaja hält keine Sekunde still. Ihre Werkstatt ist in Steinstaub gehüllt, ihr Sweatshirt von Staub überzogen, die Atemmaske nimmt sie nur ab, wenn Besuch kommt. An den Wänden und in Schränken prangen Ohrringe, Broschen, Kettenanhänger und in einem Holzregal Gesteinsproben. Rosafarbener Tugtupit, der im Sonnenlicht in pink strahlt. Eine Lapisart und Hunderte grüne, weiße, blaue, graue, schwarze Steine. Unermüdlich erzählt Kaja die Geschichte aller und wo sie sie bei langen Bootsausflügen fand. Ein bisschen spottet sie über Besucher, die ihr Steine anschleppen. »Die bringen sie vom Ausflug aufs Inlandeis mit und meinen, es sei was Besonderes. Aber alles nur Granit. Wie langweilig!« Direkt pampig wird die freundliche Grauhaarige, wenn jemand flüsternd danach fragt, welcher Stein wogegen hilft. »Ich verkaufe Steine, keine Illusionen«, grummelt sie.
Einen Lieblingsstein hat sie aber doch. Chrysopras-Matrix. Kaja nimmt einen Anhänger von der Wand und legt ihn in ihre Handfläche. Er ist oben grünlich-bläulich, das untere Drittel des Ovals braun gesprenkelt. »Wie eine grönländische Landschaft«, sagt Kaja. Dann schaltet sie eine starke Lampe ein und lässt den Anhänger davor baumeln. Türkisblaue Adern leuchten wie Einschlüsse in Aquamarin. Versteinerte Eisberge.
B. S.
Der Orgelspieler von Alluitsoq
Südgrönland im Herbst
Der spitzgiebelige Eisberg liegt wie vertäut in der sichelförmigen Bucht, schneeweiß vor grünen Wiesen. Die Sonne knallt auf dieses Bild, beinahe kann man das Prickeln hören, mit dem seit Jahrtausenden eingeschlossener Sauerstoff aus dem Eis entweicht. Wäre da nicht dieser andere Ton, der in die Luft strömt. Ist das Bach? Orgelklänge steigen in den Himmel.
Sonntag in Lichtenau. Christian Hansen spielt die Kirchenorgel. Damit sie eben gespielt wird. Manchmal geht dann auch seine Frau Theodora die paar Schritte von ihrem weißen Holzhaus hinunter in die Kirche. Aber wenn nicht, hört sie die Orgel auch so. Denn in Lichtenau, einem Dorf in einer der tausend Buchten Südgrönlands, gibt es sonst nichts, was man hören könnte. Hier leben nur noch die beiden Alten, Inuit, Schaffarmer, deren Vorfahren vor zwei Jahrhunderten vom Iglu in ein skandinavisches Holzhaus umgezogen sind. Zwei Stunden Bootsfahrt sind es bis nach Qaqortoq, der mit gut dreitausend Einwohnern größten Stadt in Südgrönland, mit einem Hafen, in dem nachts mit Lärm knallrote Container von Royal Arctic abgeladen werden. Dorthin, nach Qaqortoq, sind vor fünfzehn Jahren die anderen Einwohner von Lichtenau gezogen.
Alluitsoq, wie Lichtenau auf Grönländisch heißt, das sind: Wiesen, so dicht wie das Fell eines Moschusochsen, der sichelförmige Sandstrand, Meer so blau wie die Einschlüsse in Labradorit, dem Schmuckstein des Landes. Wie mit dem Würfelbecher hingeworfen verteilen sich Holzhäuser, blaue, rote, grüne, gelbe. Dazwischen weiden Schafe, ein schwarzes steht alleine unten am Meer. Vom Inlandeis ist nichts zu sehen, hinter dem Dorf bauen sich dunkle granitene Berge auf, auf den Gipfeln erster Schnee. Das sieht aus wie Island. Kein Wunder, dass eine Bucht weiter vor tausend Jahren Erik der Rote an Land ging und die Insel »Grünland« taufte, um Siedler anzulocken.
Aus Qaqortoq kommt manchmal Besuch, Verwandte bringen Kekse und Obst aus dem Supermarkt. Auch Touristen legen an, die bei einem Bootsausflug entweder in der beheizten Kabine sitzen oder sich an der Reling nach und nach Nase, Finger, Zehen und dann den Leib verkühlen, weil sie nicht einen Abschnitt der bizarren Küstenlinie verpassen möchten. Da ist es dann Liebe auf den ersten Blick.
Die Hansens bitten Besuch ins Wohnzimmer, zum kaffeemik , einem Schwätzchen mit Café. Die Gastfreundschaft stammt aus Zeiten des Umherziehens
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