Lesereise - Inseln des Nordens
»Wenn es nicht zu viele sind, lade ich sie zu einem Kaffee ein.«
R. K.
Die Nummer eins auf der Insel
Warum die beliebteste Sängerin der Färöer auf Beerdigungen singt
Eine, die zur Modellbürgerin ihres Landes gewählt wird, stellt man sich anders vor – älter, seriöser, gesetzter und vielleicht auch weniger charmant. Als man Eivør Pálsdóttir im Februar 2005 zum Ársins Føroyingur , zum Färinger des Jahres, wählte, war sie gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt. Die langhaarige blonde Frau mit ihren blauen Augen und dem strahlenden und ansteckenden Lächeln könnte auch als Fotomodell arbeiten – Eivør Pálsdóttir ist jedoch die bekannteste Sängerin des Landes.
»Durch ihre Lieder hat sie die Färöer auf positivste Art auf die Weltkarte gesetzt«, urteilten damals die Preisrichter. Von der »Weltkarte« zu sprechen, mag zwar übertrieben sein, aber immerhin: Auch in Island und Dänemark ist Eivør Pálsdóttir ein Star.
Eivør wollte immer schon singen und hat bereits Lieder geträllert, als sie noch nicht einmal sprechen konnte. Mit elf komponierte sie ihr erstes Lied. Von da an war klar, dass sie Sängerin werden wollte. Damit unterschied sie sich vermutlich nicht von ihren Klassenkameradinnen. Die meisten Mädchen in diesem Alter wollen Sängerin oder Schauspielerin werden. Doch Eivørs Eltern nahmen den Traum ihrer Tochter ernst und unterstützen sie in ihrem Ehrgeiz. »Meine Mutter glaubt fest daran, dass man machen soll, was das Herz sagt«, sagt Eivør. Deswegen hatte sie auch nichts dagegen, als ihre Tochter nach der neunten Klasse von der Schule abging und sich ganz der Musik widmete. Ob ihre Entscheidung die Mutter schlaflose Nächte gekostet hat, weiß Eivør nicht. Anzunehmen ist es: Ihre Mutter ist Lehrerin.
Bereits mit dreizehn trat Eivør im färöischen Fernsehen auf, als sie sechzehn war, erschien ihre erste CD . Aber eigentlich hatte ihre Karriere schon viele Jahre zuvor begonnen – und zwar auf dem Friedhof. Eine Beerdigung war der erste öffentliche Auftritt für die kleine Eivør. Bald erweiterte sie ihr Repertoire und sang auch auf Hochzeiten. Sie lacht, wenn sie das erzählt, denn obwohl sie heute eine Inselberühmtheit ist, singt sie immer noch auf Beerdigungen und Hochzeiten. »So ist das eben bei uns, die Leute fragen dich und dann machst du es.«
Als eine der wenigen Musiker auf den Färöern kann Eivør von ihrer Musik leben. Von den anderen, die das tun, spielen die meisten alte Rocksongs nach und tingeln jedes Wochenende durch die Kneipen der Inseln. Eivør gibt nur selten Konzerte auf ihrer Heimatinsel. »Ich muss mich ein bisschen rar machen«, lacht sie, »sonst hören sich die Leute satt an meinen Liedern.« Zumindest zurzeit besteht diese Gefahr aber nicht, denn Eivør verkauft auf den Färöern von jeder CD sieben- bis achttausend Stück. Damit liegt sie regelmäßig an der Spitze der Charts – schon für fünftausend verkaufte Silberscheiben wird man mit einer goldenen Schallplatte belohnt. Außerdem liegt Eivør auch in den isländischen Hitlisten ganz vorn. Und die große internationale Karriere hat sie ebenfalls geplant. Deswegen kam ihre neueste CD auch in zwei Versionen auf den Markt: »Mannabarn« heißt sie auf Färöisch, »Human Child« auf Englisch.
Egal wie berühmt man im Ausland ist, ein wirklicher Star wird man auf den Färöern nie. »Die Leute sind so ruhig hier und niemand belästigt einen auf der Straße oder will ein Autogramm«, sagt Eivør. Aber einen Nachteil nennt sie auch. »Jeder glaubt mich zu kennen«, sagt die Sängerin und erzählt, dass sie deswegen überall, wo sie auf den Inseln hinkomme, mit guten Ratschlägen überhäuft werde. »Wir gehören hier eben alle irgendwie zu einer Familie, deswegen sind wir ja auch ein bisschen sonderbar«, sagt Eivør und lacht ihr unwiderstehliches Lachen.
Mit ihren Liedern kommt sie bei den Jungen ebenso an wie bei den Älteren – fast jeder auf den Färöern ist Eivør-Fan. Es mache ihr einfach Spaß zu singen, sagt sie, und für sie gebe es keinen Unterschied, ob sie mit einer Rockband oder einem Sinfonieorchester auf der Bühne stehe. »Ich versuche, mit meiner Musik einfach ehrlich zu sein und das zu singen, was mir selbst Spaß macht und gefällt«, so Eivør.
Ihre Inspiration holt sie sich aus dem traditionellen Gesang des Kettentanzes. Der Tanz selbst ist einfach, alle Tänzer – oft sind es mehrere Dutzend – haken sich gegenseitig unter und bewegen sich im Rhythmus der Musik
Weitere Kostenlose Bücher