Lesereise Kulinarium - Spanien
schweifen, begrüßt die Kollegin, um mit dieser gleich darauf in der Bar um die Ecke zu verschwinden. Bei café con leche und Gebäck gelte es dann, sich auf den Tag einzustimmen, zu überlegen, was dringend anzugehen, was hingegen hinauszuschieben sei. Auf diese Weise kommt man allmählich auf Touren und kann sich beherzt den Zumutungen des Tages stellen. Alles klar soweit? Im Prinzip schon, räumte ich ein.
Um es gleich zu sagen: In Spanien ist die Bar eine durch und durch seriöse Lokalität. Eine Bar ist kein Nachtlokal und hat weder Schummerbeleuchtung noch halbseidenen Anstrich. In keinem Land der Erde gibt es so viele Bars wie in Spanien. Der Spanier braucht die Bar wie die Luft zum Atmen. In Großstädten beträgt der Abstand von einer Bar zur nächsten nicht mehr als ein paar Schritte. Jeder noch so kleine Weiler hat wenigstens eine solche Lokalität. Nur Friedhöfe haben keine Bar.
Die Bar ist das öffentliche Wohnzimmer jeder menschlichen Ansiedlung. Ohne die Bar käme das soziale Leben zum Erliegen. Niemand in Spanien käme auf die Idee, jemanden zum Essen zu sich nach Hause einzuladen. Das wäre viel zu intim. Zu offiziellen Anlässen trifft man sich in einem Restaurant. Mit Bekannten und guten Freunden dagegen in der Bar. Die Zeiten, in denen die Kneipe an der Ecke reine Männerdomäne war, sind überdies vorbei. Spaniens Frauen haben sich mit Beharrlichkeit und Nonchalance längst einen Platz an der Theke erobert. Selbst ältere Damen mit steifen Dauerwellen schauen inzwischen auf ein Glas Bier herein oder begießen mit Nachbarinnen den erfolgreichen Fischzug durch die Kaufhäuser. Auch Kinder, selbst Säuglinge, trifft man durchaus in der Bar.
Die Bar ist der beste Wecker für einen notorischen Morgenmuffel. Alle Sinne werden wach. Ein Konzentrat von Kaffeearoma liegt in der Luft. Der frisch gewischte Fußboden dünstet chlorig scharfe Seifenlauge aus. Die Espressomaschinen zischen ohrenbetäubend. Der Fernseher läuft, immerfrohe Typen aus den Werbespots exerzieren, wie man optimistisch, dynamisch und erfolgreich durch den Tag kommt. Spielautomaten dudeln, heischen mit bunten Blinklichtern um Aufmerksamkeit. Stimmen schwirren über dem Tresen, Tellerchen klappern, Kellner rufen kurze Bestellbefehle in die Küche. Ein Losverkäufer schaut herein und intoniert das Lied vom Hauptgewinn. Den ersten Schluck café cortado durch die Kehle laufen lassen. Ein Stück Gebäck oder ein Schinkenbrötchen dazu. Oder eine tostada mit einem Schwapp Olivenöl aus dem Blechkännchen. Oder churros , in Öl ausgebackene Teigstränge, in dickflüssige Schokolade tauchen. Doch lieber ein Bierchen oder einen Brandy, um drohender Ernüchterung vorzubeugen? Kein Problem, niemand wird sich über solche frühmorgendliche Bestellung wundern. Wer jetzt nicht munter ist, muss als scheintot abgeschrieben werden.
Hinter dem mächtigen Tresen das Ballett der Barmänner. Schnell, umsichtig und elegant tänzeln sie von der Saftpresse zur heißen Bratplatte und zurück zum fauchenden Ungeheuer, der Kaffeemaschine. Dazwischen werden Untertassen dutzendweise mit Löffelchen und Zuckerbeuteln für den nächsten Ansturm vorbereitet, Brotscheibchen geschnitten, tortillas geachtelt. Ein Barmann ist aufmerksam wie ein Psychologe, verschwiegen wie ein Beichtvater, kunstfertig wie ein Artist und kompetent wie ein Arzt. Deswegen heißt ein gesunder Kräutertee folgerichtig infusíon . Bei drohender Erkältung hilft eine Chininlimonade, bei Magenbeschwerden verordnet der Barmann zuweilen einen knallroten »Bitter Kas«.
Irgendwann wird es ruhiger, der Strom der berufstätigen Frühstücksgäste hat sich zum vormittäglichen Intermezzo am Schreibtisch verzogen. Längst ist der Marmorboden mit Olivenkernen, zerknüllten Papierservietten und Krümeln übersät. Das ist normal so. In der Bar darf man ungezwungen alles auf den Boden fallen lassen. Ab und zu wird durchgefegt und einmal täglich geschrubbt, als gälte es, einen Operationssaal zu desinfizieren. Die Übergänge zwischen Bar, Café und Restaurant sind übrigens fließend. Manche Bar hat einen comedor genannten ruhigeren Speiseraum, in dem ein Tagesmenü angeboten wird.
Gegen Mittag wird es wieder voll. Der große Chor des Stimmengewirrs hebt erneut an. Aperitifs werden im Akkord ausgegeben. Tapas werden gegabelt. Sauer eingelegte Fischlein etwa, Oktopus, Fleischklößchen und russischer Salat. Man isst und trinkt, raucht und quasselt durcheinander. Spanier sind oralfixiert und
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