Lesereise Kulinarium - Spanien
aber bevölkerungsärmsten der drei baskischen Provinzen, durchquert und schließlich das Dörfchen erreicht, das auf Baskisch Añana Gesaltza heißt. Ein weiterer verschlafener Flecken in einer nur dünn besiedelten Region – wenn nicht die offenbar zum unaufhaltsamen Niedergang verdammten Salzgärten gewesen wären.
Rund fünfzehn Jahre später sieht alles ganz anders aus. Das nach seinen natürlichen Salzvorkommen benannte Valle Salado gibt es zwar immer noch, doch die ehedem verfallenden Salzgewinnungsanlagen wirken heute bestens aufgeräumt und akribisch instand gesetzt. Wo sich damals verrottete Holzrinnen, wurmstichige Balken und alle Arten von Schrott auftürmten, steht seit Kurzem ein schmucker Holzbau: das jüngst eröffnete Besucher- und Informationszentrum. Zwei freundliche Damen in Uniform empfangen die Gäste. Sie halten Broschüren bereit, verteilen Plastiktütchen mit weißkörnigem Inhalt und laden zu einem Rundgang durch die Saline ein.
Sogar ein paar salineros , Salzsieder, haben ihre Arbeit wieder aufgenommen. Einer von ihnen ist Andrés Angulo Ortíz de Zárate, siebenundvierzig Jahre alt. In weißem Hemd, weißer Hose und weißen Gummistiefeln schlendert er über einige der Plattformen, die seit 2005 auf dem zwölf Hektar großen Gelände wieder in Betrieb sind. Mit einem hölzernen Abzieher pflügt er das Naturprodukt, das wie Schnee aussieht und mit einer dünnen Wasserschicht bedeckt ist. »Zwischen Mai und Oktober«, erklärt Señor Angulo, »muss die Salzlake zweimal täglich, einmal gegen zwölf und einmal gegen fünfzehn Uhr dreißig, gedreht und gewendet werden, damit sie trocknen und jeden zweiten Tag eine gewisse Menge Salz geerntet werden kann.« Zuvor jedoch wird deren oberste Schicht, die kostbare flor de sal , gepflückt, in hölzerne Kästen gebettet und in die Lagerhallen gebracht, von wo aus die Kunden beliefert werden.
Die Salzgärten von Salinas de Añana, dem am längsten besiedelten Ort von ganz Álava, wurden im Jahre 822 erstmals urkundlich erwähnt. Doch bereits die Römer sollen Evaporationsbecken an den terrassenförmigen Hügeln des Ribera-Alta-Gebirges angelegt haben. Diese wurden vor der reconquista auch von den Arabern genutzt. Angesichts der Bedeutung des Salzes bei der Nahrungsmittelkonservierung gestand der kastilische König Alfonso VII. dem Ort 1140 eine Reihe sogenannter Foralrechte zu, zum Teil bis heute gültige baskische Sonderrechte, die damals vor allem Steuerermäßigungen sowie das Marktrecht umfassten. Gleichzeitig erklärte der Monarch die Salzgewinnung zu einem Privileg der Krone. Im späteren Mittelalter gingen allerdings immer mehr Anteile an den Salinen in Privatbesitz über, sodass 1814 schließlich alle Privatisierungsbeschränkungen aufgehoben wurden. Fortan konkurrierten die Eigentümer darum, für ihre Salzpfannen die besten Plätze mit einem Maximum an Sonneneinstrahlung zu ergattern, was zur Folge hatte, dass permanent neue Plattformen samt dazugehörigen Anlagen entstanden.
In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt der Salzproduktion, waren sämtliche Bewohner von Añana Gesaltza mit der Salzgewinnung beschäftigt. Männer, Frauen und Kinder, unter anderem auch die Eltern und die sechs älteren Brüder von Andrés Angulo Ortíz de Zárate, kümmerten sich um die annähernd sechstausend eras genannten, jeweils zwanzig Quadratmeter großen Plattformen. Doch nach 1970 lohnte sich das traditionelle, in mühsamer Handarbeit erledigte Geschäft mit dem »weißen Gold« kaum noch. Die Konkurrenz der großen Industriebetriebe, die das Salz schneller, in größeren Mengen und kostengünstiger liefern konnten, machte den privaten Salzgärtnern nach und nach den Garaus. Mit dem Resultat, dass die in Europa ohnehin nicht weit verbreitete terrestrische Salzgewinnung mittels einfacher Verdunstung von Quellsole an der Sonne bedeutungslos wurde. Innerhalb kürzester Zeit verringerte sich nicht nur die Einwohnerschaft des Ortes von sechshundert auf heute unter zweihundert Personen. Auch die Kanäle verrotteten, die Brunnen verfielen. Gleichzeitig nahm die Zahl der Salztische rapide ab. 1993 lag sie bei gerade noch dreihundert.
Im südwestlichen Baskenland schien das definitive Ende des jahrtausendealten Salzmacherhandwerks damit unausweichlich. Bis sich die Eigentümer der Salinen von Añana 1998 zu der Vereinigung Gatzagak zusammenschlossen, mit dem Ziel, die Anlagen zu retten und mit der Salzproduktion eines Tages
Weitere Kostenlose Bücher