Lesereise Malediven
Wirkung sich die Waage halten – und der Gast sich anschließend im Reinen mit sich und der Welt befinde, so hat es mir die Therapeutin erklärt.
Sie setzt das Monsun-Ritual mit einer leichten Massage mit warmem Kräuteröl fort. Ziel ist, den Körper zu entgiften, ihn mit Geist und Seele in Einklang zu bringen und den Energiefluss zu aktivieren. Abschließend schickt sie mich ins entspannende Dampfbad, das mich in nahezu meditativer Stimmung zurücklässt. Körper, Geist, Welt und ich – ist eben doch alles eines, denke ich schläfrig. Ich fühle mich wie ein liebevoll betreuter Säugling. Zum guten Schluss werde ich mit einer Lotion aus Sandelholz und Weihrauch gesalbt und von diesem wunderbaren Duft annähernd ins Leben zurückgeholt. Nach gut zwei Stunden verlasse ich als rundum erneuerter (und um zweihundertzwanzig US -Dollar ärmerer) Mensch die Spa-Insel.
Auch anderswo konzentriert sich die Wellness-Kultur, die das Inselreich für seine Besucher ersonnen hat, auf die heilenden Kräfte des Ozeans und seine Reichtümer. Unterstützt wird sie durch Kräuter und Gewürze, die Seefahrer aus Indien, Sri Lanka und Afrika herbrachten: Sandelholz, Weihrauch, schwarzer Pfeffer und Basilikum. Anderes ist schon da: Kokosnüsse und alles, was sich aus ihnen gewinnen lässt. Im eineinhalb Flugstunden weiter südlich gelegenen Spa auf Villingili will man mir mit Kokosöl, das im Addu-Atoll hergestellt wird, zu neuer Kraft verhelfen. Das Öl wird aus Cowrie-Muscheln, im Landesidiom Kandu Boli genannt, auf den Körper geträufelt und einmassiert.
Einstmals waren die Malediven Hauptlieferant für die schimmernden, eiförmigen Muscheln, die in zahlreichen afrikanischen Ländern am Indischen Ozean als Zahlungsmittel verwendet wurden. Das hatte bereits Tradition: Schon vor mehr als dreitausend Jahren zahlten die Menschen in China mit Cowrie-Muscheln. Auf den Malediven wurde das Geld quasi aus dem Wasser gezogen und weiterverkauft. Ein lukratives Geschäft, das aber schließlich aus der Mode kam – wiewohl die Muscheln bis heute gesammelt werden. Als Dekorationsobjekte sind sie nach wie vor beliebt; außerdem finden sie in der traditionellen indischen Medizin Verwendung. Und auf Villingili im Wellness-Bereich. Die Weiternutzung der einstigen Geldstücke fürs körperliche Wohlbefinden ist indessen nicht das Einzige, was dieses Spa ungewöhnlich macht. Es liegt auch auf dem höchsten Punkt der Malediven. 2,3 Meter sind allerdings kein Grund, Bergschuhe und Steigeisen auszupacken. Doch auf den Inseln, denen das Wasser zunehmend bis zum Hals steht, ist auch der weltweit niedrigste höchste Punkt eines Landes ein Grund zum Feiern.
Meine Therapeutin Wulan stammt aus Java und hat zuvor auf Bali in einem Resort in Nusa Dua gearbeitet. Auch ihre Brüder – beide Künstler – leben auf Bali. Sie reicht mir Ingwertee mit Honig, bevor sie ein Fußbad anrichtet, in das sie ein paar Blütenblätter gibt. Fürsorglich schrubbelt sie meine Füße, dann bittet sie aufs Massagebett. Schon wird es anspruchsvoll: »Atmen Sie dreimal tief ein und begeben Sie sich in die Zeitlosigkeit«, fordert Wulan mit sanfter Stimme. Dann hält sie Muscheln an meine Ohren. Der Ozean, dessen Brecher draußen an die maledivische Steilküste schlagen, braust nun auch in meinem Kopf.
Ein sanfter Sopran erfüllt den kleinen Behandlungsraum: Wulan singt mir ein maledivisches Schlaflied. Wie unendlich peinlich wäre es, nun loszukichern. Nicht, dass Wulan nicht einwandfrei den Ton hielte. Doch die Absurdität der Situation ist wie geschaffen für einen unkontrollierbaren Lachkrampf. Ich versuche, mich auch hier wie ein umsorgtes Baby zu fühlen. Dazu gehören nun einmal Schlaflieder. Zum Glück beginnt der handfeste Teil der Anwendung. Öl träufelt, Muscheln kneten meinen Körper. Sie fühlen sich nicht mal sonderlich anders an als Hände. Vielleicht bin ich aber auch nur zu schnell weggedöst. Schließlich legt Wulan mir heiße und kalte Tücher in den Nacken und lässt eine Gesichts- und Kopfmassage folgen. Längst bin ich zu entspannt für hysterische Lachanfälle. Ich weiß: Wulan ist eine Künstlerin, wie ihre Brüder. Und überhaupt, was könnte angenehmer sein, als ganzkörperlich einzutauchen in die Tropenwelt. Wenn es sein muss, auch mit Schlaflied.
Unter Wasser
Auf Hai-Safari: Auge in Auge mit Rochen und Raubfischen
Links unter meinen Füßen bewegt sich etwas. Es ist grau, zielstrebig und hat schwarze Tupfen an den Flossenenden. Einen Moment lang
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